Die Leopardin
Vollmond. Die Invasion stand womöglich unmittelbar bevor. Doch in den wenigen verbleibenden Stunden konnte Franck dem französischen Widerstand das Rückgrat brechen – vorausgesetzt, es gelang ihm, diese Clairet in eine seiner Folterkammern zu bekommen. Ihm genügten die Namen und Adressen, die sie im Kopf hatte. Überall in Frankreich konnte dann sofort die Gestapo in Aktion treten, insgesamt Tausende von gut gedrillten Männern. Nicht unbedingt die Hellsten, aber wie man jemanden festnahm, wussten sie. Innerhalb von zwei Stunden konnten sie Hunderte von Resistance-Kadern hinter Schloss und Riegel bringen. Der groß angelegte Aufstand hinter den deutschen Linien, von dem sich die Alliierten bei der Invasion zweifellos Unterstützung erhofften, würde dann im Keim erstickt, sodass die deutschen Truppen in Ruhe und Ordnung ihren
Gegenschlag organisieren und die Invasoren ins Meer zurückjagen konnten.
Er hatte einen Gestapo-Trupp losgeschickt, der im Hotel de la Chapelle eine Razzia vornehmen sollte, aber das war eigentlich bloß eine Formsache: Franck war sicher, dass die Clairet mit den drei restlichen Frauen sofort nach der Verhaftung der beiden Agentinnen im Ritz das Weite gesucht hatte. Bloß: Wo waren sie jetzt? Für einen Angriff auf Maries blieb Reims nach wie vor der beste Ausgangspunkt – deshalb hatten sie ja ursprünglich auch dort in der Nähe landen wollen. Franck nahm an, dass sie ihr Ziel nicht geändert hatten und folglich immer noch nach Reims wollten. Die Stadt lag sowohl an der Straßenverbindung als auch an der Eisenbahntrasse nach Maries, und möglicherweise gab es noch den einen oder anderen Helfer aus dem Umfeld der Bollinger-Zelle, mit dem sie rechnen konnten.
Ich gehe jede Wette ein, dass sie sich in diesem Augenblick auf dem Weg von Paris nach Reims befinden, dachte er.
Er erließ Order, jede Gestapo-Kontrolle zwischen den beiden Städten mit den Einzelheiten über die falschen Personalpapiere zu versorgen, die die Leopardin und ihre Dohlen benutzten. Aber auch das war nicht viel mehr als eine Formsache: Diese Frauen besaßen entweder Ersatzpapiere, oder sie würden Mittel und Wege finden, die Kontrollen zu umgehen.
Er rief in Reims an, ließ Weber aus dem Bett holen und erklärte ihm die Lage. Ausnahmsweise schoss Weber diesmal nicht quer, sondern erklärte sich bereit, je zwei Gestapo-Leute zur Bewachung der Häuser von Michel Clairet und Gilberte Duval abzustellen. Eine dritte Patrouille wurde zum Schutze Stephanies in die Rue du Bois geschickt.
Als er spürte, wie sich ein neuer Migräneanfall ankündigte, rief Dieter Franck bei Stephanie an. »Die englischen Spione sind unterwegs nach Reims«, erklärte er ihr. »Ich schicke dir zwei Mann, die auf dich aufpassen werden.«
Sie blieb gelassen wie eh und je. »Vielen Dank.«
»Aber es ist wichtig, dass du auch weiterhin den Treffpunkt aufsuchst.« Wenn er Glück hatte, ahnte die Clairet noch gar nicht, wie weit er die Bollinger-Zelle bereits infiltriert hatte, und lief ihm direkt in die Arme. »Denk dran«, erinnerte er Stephanie, »wir haben den Treffpunkt von der Krypta in der Kathedrale ins Cafe de la Gare verlegt. Lässt sich dort wer blicken, bring ihn – oder sie – mit deinem Wagen sofort in die Rue du Bois, so wie du es mit Helicopter gemacht hast. Die Gestapo erledigt dann den Rest.«
»Alles klar.«
»Wirklich? Ich habe das Risiko für dich so stark reduziert wie möglich, aber die Sache bleibt trotzdem gefährlich.«
»Das klappt schon. Du klingst, als hättest du Migräne.«
»Sie fängt gerade an.«
»Hast du deine Medikamente?«
»Hans hat sie.«
»Schade, dass ich nicht bei dir bin und sie dir selbst verabreichen kann.«
Das fand er auch. »Eigentlich wollte ich noch heute Nacht wieder nach Reims zurückfahren, aber ich glaube, ich schaffe es nicht.«
»Untersteh dich! Ich komme schon klar. Lass dir eine Spritze geben und leg dich hin. Es reicht, wenn du morgen kommst.«
Sie hatte natürlich Recht. Allein die Rückkehr in seine Wohnung, die nicht einmal einen Kilometer entfernt war, würde ihm schwer genug fallen. Nach Reims konnte er erst fahren, wenn er sich von der Belastung durch das Verhör erholt hatte. »Na schön«, sagte er. »Ich schlafe ein paar Stunden und fahre morgen früh hier ab.«
»Alles Gute zum Geburtstag.«
»Du hast daran gedacht! Ich hatte ihn ganz vergessen.«
»Ich hab sogar was für dich.«
»Ein Geschenk?«
»Eher so was wie. etwas Persönliches.«
Er musste trotz
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