Die Leopardin
Schnitzer unterlaufen war. »Das schwarz hätte ich mir wohl sparen können«, fügte er, auf Wiedergutmachung bedacht, hinzu. »Milch haben Sie wahrscheinlich ohnehin keine.«
Der Kellner lächelte beruhigt. »Leider nein«, sagte er und ging.
Paul atmete tief durch. Es war schon acht Monate her, seit er zum letzten Mal als Agent in Frankreich gewesen war, und er wusste schon gar nicht mehr, wie anstrengend es war, jede Sekunde daran zu denken, dass man eine Rolle spielte.
Den Vormittag verbrachte er in der Kathedrale und döste sich durch mehrere Gottesdienste. Gegen halb zwei ging er wieder in das Cafe und aß dort zu Mittag. Eine Stunde später begann sich das Lokal zu leeren. Paul blieb sitzen und trank Ersatzkaffee. Um Viertel vor drei kamen zwei Männer herein und bestellten Bier. Paul musterte sie gründlich. Sie trugen Anzüge wie Geschäftsleute und unterhielten sich im Dialekt der Region über den Weinbau. Besonders kenntnisreich verbreiteten sie sich über die Weinblüte, eine kritische Zeit, die soeben zu Ende gegangen war. Dass die beiden von der Gestapo waren, konnte sich Paul nicht vorstellen.
Punkt drei Uhr betrat eine große, attraktive Frau das Cafe. – Ihre Kleidung war von unaufdringlicher Eleganz – ein Sommerkleid aus einfarbig grüner Baumwolle, dazu ein Strohhut. An den Füßen trug sie zwei verschiedene Schuhe: Der eine war schwarz, der andere braun. Das musste Bourgeoise sein.
Paul war ein wenig überrascht, denn er hatte eine ältere Frau erwartet – aber für diese Annahme gab es offensichtlich keinen Grund: Flick hatte Bourgeoise nie konkret beschrieben.
Trotzdem war er noch nicht bereit, ihr zu vertrauen. Er stand auf, zahlte, verließ das Cafe, ging zum Bahnhof und stellte sich dort in den Eingang, von wo aus er das Cafe im Auge behalten konnte. Er fiel hier nicht auf: Wie auf Bahnhöfen üblich, lungerten auch hier zahlreiche Leute herum, die auf Freunde warteten oder jemanden vom Zug abholen wollten.
Er beobachtete die Kundschaft des Cafés. Eine Frau mit einem quengelnden Kind kam vorbei. Es wollte unbedingt ein Teilchen. Vor dem Cafe-Eingang gab die Mutter nach und ging mit dem Kind hinein. Die beiden Weinbauexperten kamen heraus. Ein Gendarm trat ein und erschien wenig später mit einem Päckchen Zigaretten in der Hand wieder auf der Straße.
Allmählich verdichtete sich in Paul die Überzeugung, dass die Gestapo hier keine Falle gestellt hatte. Weit und breit war niemand in Sicht, der auch nur im Geringsten gefährlich wirkte. Mit dem Wechsel des Treffpunkts war es offenbar gelungen, die Verfolger abzuschütteln.
Nur eines störte Paul noch. Als Brian Standish in der Kathedrale geschnappt wurde, hatte Charenton ihn gerettet, der Cousin von Bourgeoise. Wo blieb der heute? Wenn er in der Kathedrale auf seine Cousine aufpasste – warum dann nicht auch hier? Aber die Umstände als solche waren ja nicht gefährlich. Es gab Hunderte von banalen Erklärungen für Charentons Abwesenheit.
Die Mutter mit ihrem Kind kam wieder aus dem Cafe. Und schließlich, es war schon halb vier, kam auch Bourgeoise wieder heraus. Sie entfernte sich über den Bürgersteig in die vom Bahnhof wegführende Richtung. Paul folgte ihr auf der anderen Straßenseite. Vor einem kleinen schwarzen Wagen mit italienisch anmutender
Karosserie – die Franzosen nannten ihn Simca Cinq – blieb sie stehen. Paul überquerte die Straße. Die Frau stieg ein und ließ den Motor an.
Der Augenblick der Entscheidung war gekommen. Paul war sich zwar immer noch nicht absolut sicher, hatte aber alle Vorsichtsmaßnahmen ausgeschöpft. Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, das Rendezvous gänzlich platzen zu lassen. Irgendwann kam immer der Punkt, wo man ein Risiko eingehen musste. Ohne Risikobereitschaft hätte er auch zu Hause bleiben können.
Er schloss zu dem Kleinwagen auf und öffnete die Beifahrertür.
Die Frau sah ihn kühl an. »Monsieur?«
»Beten Sie für mich«, erwiderte er.
»Ich bete für den Frieden.«
Paul stieg ein und ließ sich spontan einen Decknamen einfallen: »Ich bin Danton.«
Die Frau fuhr an. »Warum haben Sie mich nicht schon im Cafe angesprochen?«, fragte sie. »Ich habe Sie gleich beim Hereinkommen gesehen – und Sie lassen mich eine halbe Stunde warten. Das ist gefährlich.«
»Ich wollte mir nur sicher sein, dass es keine Falle war.«
Sie drehte sich kurz zu ihm um und sah ihn an. »Sie haben gehört, was mit Helicopter passiert ist.«
»Ja. Wo ist denn Ihr
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