Die Leopardin
kollaborierten, umzubringen.
Der Gedanke, Stephanie könnte getötet werden, schnürte Franck die Brust ein und erschwerte ihm das Atmen. Ein Leben ohne sie konnte er sich kaum noch vorstellen. So bedrückend war diese Vision, dass es nur eine Erklärung gab: Er hatte sich in Stephanie verliebt.
Bisher hatte er sich immer eingeredet, sie sei nichts weiter als eine schöne Kurtisane, die er auf dieselbe Weise benutzte, wie Männer solche Frauen seit jeher benutzten. Jetzt erkannte er, dass er sich etwas vorgemacht hatte. Sein Wunsch, endlich nach Reims zu kommen und ihr zur Seite stehen zu können, wurde immer drängender.
Es war Sonntagnachmittag, daher herrschte nur wenig Verkehr auf der Straße. Sie kamen schnell voran.
Eine knappe Fahrtstunde vor Reims hatten sie den nächsten Platten. Franck hätte vor Wut und Hilflosigkeit schreien können. Wieder war ein krummer Nagel daran schuld. Liegt das an der schlechten Qualität dieser Kriegsreifen?, fragte er sich. Oder werfen die Franzosen mit voller Absicht ihre alten Nägel auf die Straßen, weil sie wissen, dass neun von zehn Fahrzeugen der Besatzungsmacht gehören?
Da der Wagen nur einen Ersatzreifen hatte, musste der Reifen geflickt werden, bevor sie weiterfahren konnten. Sie ließen das Fahrzeug stehen und gingen zu Fuß. Nach etwas mehr als einem Kilometer kamen sie zu einem Bauernhaus. Eine große Familie saß um einen Tisch herum, auf dem die Reste eines üppigen Sonntagsmahls zu erkennen waren: Es gab noch Käse und Erdbeeren, dazwischen standen mehrere leere Weinflaschen. Die einzigen wohlgenährten Franzosen waren die Bauern. Franck nahm sich den Hausherrn vor und setzte ihn so massiv unter Druck, bis er endlich sein Pferd vor den Karren spannte und ihn und Hesse ins nächste Städtchen kutschierte.
Am Stadtplatz stand eine einsame Tanksäule auf dem Trottoir vor der Werkstatt eines Stellmachers, und im Fenster lehnte ein Schild mit der Aufschrift Ferme. Sie hämmerten so lange gegen die Tür, bis der mürrische garagiste aus seinem Nachmittagsschläfchen erwachte. Der Mechaniker setzte einen uralten Laster in Bewegung und fuhr mit Hesse auf dem Nebensitz davon.
Dieter Franck saß derweilen im Wohnzimmer der Mechanikerfamilie und musste sich von drei kleinen Kindern in zerlumpten Kleidern begaffen lassen. Die Gattin des Mechanikers, eine müde Frau mit ungewaschenen Haaren, werkelte in der Küche herum, bot ihm aber nicht einmal ein Glas Leitungswasser an.
Unwillkürlich musste Dieter wieder an Stephanie denken. Im Flur stand ein Telefon. Franck steckte den Kopf in die Küche und fragte höflich: »Darf ich von Ihrem Apparat aus ein Gespräch führen? Selbstverständlich bezahle ich dafür.«
Die Frau funkelte ihn feindselig an. »Wohin denn?«
»Nach Reims.«
Sie nickte, warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kamin stand, und notierte sich die Zeit.
Franck nannte dem Fräulein vom Amt die Nummer des Hauses in der Rue du Bois und wurde sofort vermittelt. Eine barsche Frauenstimme meldete sich, indem sie im örtlichen Dialekt die angewählte Telefonnummer wiederholte. Franck war sofort hellwach und reagierte schnell: »Hier Charenton«, sagte er.
Die Stimme am anderen Ende verwandelte sich ohne Vorwarnung in die Stephanies: »Hallo, mon cher«, sagte sie.
Franck fiel ein Stein vom Herzen: Sie hatte vorsichtshalber Mademoiselle Lemas imitiert. »Ist bei dir alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ich habe schon wieder einen feindlichen Spion für dich gefangen«, erwiderte sie kühl.
Ihm blieb die Spucke weg. »Mein Gott. gut gemacht! Wie ist das passiert?«
»Ich hab ihn im Cafe de la Gare aufgelesen und hierher gebracht.«
Franck schloss die Augen. Wenn irgendetwas schief gegangen wäre und sie auch nur einen kleinen Fehler gemacht und damit den Argwohn des Agenten erweckt hätte – sie könnte bereits tot sein. »Und dann?«
»Dann haben deine Leute ihn gefesselt.«
Ihn hat sie gesagt, dachte er. Es kann sich also nicht um Felicity Clairet handeln. Schade. Aber meine Strategie funktioniert. Der Mann ist schon der zweite alliierte Spion, der in meine Falle tappt. »Was ist das für ein Kerl?«
»Ein junger Bursche. Er hinkt, und ihm fehlt ein halbes Ohr. Weggeschossen.«
»Was hast du mit ihm gemacht?«
»Er liegt hier in der Küche auf dem Fußboden. Ich wollte gerade in Sainte-Cecile anrufen und ihn abholen lassen.«
»Lass das lieber. Sperr ihn erst mal im Keller ein. Ich will mit ihm reden, bevor Weber ihn in die Fänge
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