Die Leopardin
weil sie befürchtete, er könne sie rührselig machen. Da öffnete sich die Tür, und Michel kam herein.
Ein überwältigendes Gefühl der Erleichterung überkam sie. Michel kannte in Reims Gott und die Welt. Er würde ihr helfen können. Vielleicht war es ja doch noch möglich, die Mission zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.
Beim Anblick seiner schlaksigen Figur, des zerknitterten Jacketts und des sympathischen Gesichts mit den ewig lächelnden Augen empfand sie eine Art zwiespältiger Zuneigung zu ihm. Wahrscheinlich werde ich ihn mein Leben lang gern haben, dachte sie, und die Erinnerung an die leidenschaftliche Liebe von einst sowie das Bewusstsein, dass es sicher kein Zurück mehr gab, taten ihr weh.
Michel kam näher, und Felicity erkannte, dass er nicht sehr gut aussah. In sein Gesicht schienen sich neue Falten gegraben zu haben, in seiner Miene spiegelten sich Erschöpfung und Furcht, und er sah eher aus wie fünfzig als wie fünfunddreißig. Sie machte sich Sorgen um ihn, und ein starkes Mitgefühl wallte in ihr auf. Was ihr jedoch den größten Kummer bereitete, war die Frage, wie sie ihm beibringen sollte, dass es um ihre Ehe geschehen war. Davor hatte sie Angst. Es ist makaber, dachte sie, als sie sich ihrer Situation bewusst wurde: Hier sitze ich und habe am heutigen Tag einen Gestapo-Mann und eine französische Verräterin erschossen. Ich bin auf geheimer Mission in feindlich besetztem Gebiet – und meine größte Sorge ist die, dass ich die Gefühle meines Ehemanns verletzen könnte.
Michel erkannte sie sofort, trotz ihres veränderten Aussehens. »Flick!«, rief er. »Ich wusste doch, dass du hier auftauchen würdest!« Er ging auf sie zu, noch immer hinkend wegen seiner Schussverletzung.
»Ich fürchtete schon, die Gestapo hätte dich erwischt«, flüsterte sie.
»Hat sie auch!« Er stellte sich so, dass die anderen Anwesenden nur seinen Rücken sehen konnten, und streckte Flick seine Hände entgegen, die mit einem dicken Strick an den Gelenken gefesselt waren.
Flick zog das kleine Messer aus seiner Scheide und schnitt die Fesseln durch. Die Spieler bekamen davon nichts mit. Flick steckte das Messer wieder weg.
Meme Regis erblickte Michel, als er gerade dabei war, die Strickreste in seine Hosentaschen zu stopfen. Sie umarmte ihn und küsste ihn auf beide Wangen. Flick sah, wie er mit der älteren Frau flirtete, sie mit seiner Schlafzimmerstimme ansprach und mit seinem sinnlichen Lächeln beglückte. Dann kehrte Meme an ihre Arbeit zurück und brachte den Spielern die bestellten Getränke, und Michel erzählte Flick, wie er der Gestapo entkommen war. Sie hatte schon befürchtet, er würde sie leidenschaftlich küssen wollen, denn sie wusste nicht, wie sie darauf hätte reagieren sollen. Aber es stellte sich heraus, dass ihm jeder romantische Gedanke fern lag; das Bedürfnis, seine Erlebnisse loszuwerden, überdeckte alles andere.
»Hab ich ein Schwein gehabt!«, schloss er seinen Bericht, setzte sich vorsichtig auf einen Barhocker, massierte seine Handgelenke und bestellte ein Bier.
Flick nickte. »Vielleicht ein bisschen zu viel«, sagte sie.
»Wie meinst du das?«
»Es könnte ein Trick gewesen sein.«
Die Antwort empörte ihn. Den unausgesprochenen Vorwurf, er könne der Gestapo leichtgläubig auf den Leim gegangen sein, konnte er nicht auf sich sitzen lassen. »Nein«, sagte er, »das glaube ich nicht.«
»Könnte es sein, dass man dich verfolgt hat?«
»Nein«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Ich hab natürlich darauf geachtet.«
Flick ließ es dabei bewenden, obwohl ihre Zweifel noch nicht ganz ausgeräumt waren. »Also ist Brian Standish tot und drei andere sind verhaftet: Jeanne Lemas, Gilberte und Doktor Bouler.«
»Ja. Die anderen sind alle tot. Die Deutschen haben die Leichen derer, die bei der Schießerei am Sonntag umgekommen sind, freigegeben. Die drei Überlebenden – Gaston, Genevieve und Bertrand – haben sie auf dem Platz vor der Kirche in Sainte-Cecile standrechtlich erschossen.«
»O Gott.«
Sie schwiegen eine Zeit lang. Die vielen Toten drückten Flick aufs Gemüt, zumal sie wusste, dass das Leid kein Ende nehmen würde, denn noch war ihre Mission nicht erfüllt.
Michels Bier kam. Er trank das Glas in einem Zug halb leer und wischte sich den Mund ab. »Ich nehme an, du bist zurückgekommen, weil du ‘s noch mal versuchen willst.«
Flick nickte. »Aber unsere Legende lautet, dass wir den Eisenbahntunnel bei Maries sprengen wollen.«
»Gute
Weitere Kostenlose Bücher