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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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fand dahinter eine Treppe, die nach oben führte. Er stieg sie hinauf. Am Ende der Stufen befand sich eine schwere Tür mit einem Guckloch. Er klopfte an, doch niemand öffnete. Er lauschte ein Weilchen. Zu hören war nichts, doch die Tür war auffallend dick. Er hätte schwören können, dass jemand hinter der Tür stand, ihn durch das Guckloch beobachtete und sah, dass er kein regelmäßiger Kunde war. Er tat so, als habe er sich auf dem Weg zur Toilette verlaufen, kratzte sich am Kopf, zuckte die Achseln und ging die Treppe wieder hinunter.
    Nichts deutete darauf hin, dass die Bar einen Hinterausgang hatte. Demnach musste sich Clairet in dem verschlossenen Raum im Obergeschoss aufhalten, dessen war sich Franck sicher. Aber was sollte er nun tun?
    Er ging zurück an die Bar, nahm sein Bier in Empfang und setzte sich an einen Tisch, damit der Barmann nicht auf die Idee verfiel, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Das Bier war wässrig und schmeckte fade. Selbst in Deutschland war das Bier im Laufe des Krieges immer schlechter geworden. Franck zwang sich, das Glas auszutrinken. Dann verließ er die Bar.
    Hans Hesse stand auf der anderen Straßenseite und betrachtete die Auslage im Schaufenster einer Buchhandlung. Franck ging zu ihm. »Er ist in einer Art Privatzimmer im ersten Stock«, sagte er. »Vielleicht trifft er sich dort mit anderen Partisanen. Es kann sich aber auch um ein Bordell handeln oder so was Ähnliches. Eines muss klar sein: Ich will ihn nicht auffliegen lassen, bevor er uns zu den entscheidenden Leuten geführt hat.«
    Hesse nickte. Er verstand die komplizierte Situation.
    Franck entschied sich. Es war noch zu früh, um Clairet erneut zu verhaften. »Wenn er rauskommt, folge ich ihm. Sobald wir fort sind, führen Sie hier eine Razzia durch.«
    »Allein?«
    Franck deutete auf zwei Gestapo-Männer im Citroen, die Clairets Haus überwachten. »Die beiden sollen Ihnen helfen.«
    »Jawohl, Herr Major.«
    »Tun Sie so, als wären Sie von der Sitte – nehmen Sie die Huren fest, sofern da welche sind. Kein Wort von der Resistance!«
    »Jawohl, Herr Major. Kein Wort.«
    »Also warten wir.«
    Felicity war pessimistisch – bis zu dem Moment, als Michel hereinspazierte.
    Sie saß an der Bar des improvisierten kleinen Casinos, schwatzte mit Yvette und beobachtete nebenbei die angespannten Gesichter der Männer, die nur Augen für ihre Karten, die Würfel oder das rotierende Rouletterad hatten. Keiner von ihnen schenkte Flick Beachtung: Eingefleischte Spieler wie sie ließen sich nicht von einem hübschen Gesicht ablenken.
    Wenn sie Michel nicht fand, sah es finster aus. Ihre Dohlen waren zwar in der Kathedrale vorerst sicher, konnten dort aber nicht die Nacht verbringen. Sie hätten im Freien übernachten können – das Wetter im Juni war erträglich –, doch unter freiem Himmel war das Risiko, erwischt zu werden, noch größer als anderswo.
    Außerdem brauchten sie ein Transportmittel. Wenn die Bollinger-Zelle ihnen keinen Wagen beschaffen konnte, würden sie einen stehlen müssen – was wiederum bedeutete, dass sie ihren Auftrag mit einem Fahrzeug durchführen mussten, nach dem von der Polizei gefahndet wurde. Das hieß, ein ohnehin schon brandgefährliches Unternehmen mit einem zusätzlichen Risiko zu belasten.
    Flicks düstere Stimmung hatte noch einen anderen Grund: Sie bekam Stephanie Vinson nicht mehr aus dem Kopf. Nie zuvor hatte sie eine Frau erschossen, nie zuvor einen wehrlosen, gefesselten Gefangenen getötet.
    Jedes Mal, wenn sie einen Menschen getötet hatte, war sie eine Zeit lang total verstört. Obwohl der Gestapo-Mann, den sie wenige Minuten vor der Frau erschossen hatte, ein Kombattant mit einer Waffe in der Hand gewesen war, empfand sie es als absolut grauenhaft, dass sie ihm sein Leben genommen hatte. Ähnlich war es ihr mit den anderen Männern ergangen, die sie getötet hatte: zwei Angehörige der Milice in Paris, einen Gestapo-Oberst in Lilie und einen französischen Verräter in Rouen. Doch der Fall Stephanie Vinson war der bisher schlimmste. Sie hatte sie mit einem Kopfschuss von hinten hingerichtet, genau so, wie sie es angehenden Agenten bei der Ausbildung beibrachte. Dass die Frau es nicht anders verdient hatte, stand für Felicity außer Frage, nur um ihr eigenes Selbstverständnis machte sie sich Sorgen: Was sind das für Menschen, die kaltblütig wehrlose Gefangene töten? Bin ich zu einer brutalen Henkerin verkommen?
    Sie trank ihren Whisky aus, lehnte aber einen zweiten ab,

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