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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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als Kind aus den Ferien zurückkehrte. Sobald das Haus in Sicht kam, pflegte ihre Mutter zu sagen: »Es ist schön, zu verreisen, aber genauso schön ist es, wieder nach Hause zu kommen.« Die Sprüche ihrer Mutter fielen ihr in den seltsamsten Momenten ein.
    Eine junge Frau in der Uniform eines FANY-Korporals wartete in einem schweren Jaguar auf sie, um sie nach London zu bringen. »Was für ein Luxus!«, sagte Flick, als sie in den Ledersitz sank.
    »Ich bringe Sie direkt nach Orchard Court«, sagte die Fahrerin. »Sie werden dort schon zur Berichterstattung erwartet.«
    Flick rieb sich die Augen. »Herrgott noch mal!«, fluchte sie. »Glauben die denn, wir brauchen überhaupt keinen Schlaf mehr?«
    Die Fahrerin ging darauf nicht ein und sagte stattdessen: »Ich hoffe, die Mission ist erfolgreich verlaufen, Major.«
    »Totaler Snafu! «
    »Wie bitte?«
    »Snafu «, wiederholte Flick. »Abkürzung für Situation Normal, All Fucked Up. Totales Desaster, kapiert?«
    Die Frau schwieg. Flick nahm an, dass ihr der Ton genauso peinlich war wie die Wortwahl. Eigentlich schön, dachte sie nicht ohne eine gewisse Melancholie, dass es noch immer junge Damen gibt, die die Kasernenhofsprache shocking finden.
    Während der schnelle Wagen durch die Dörfer Stevenage und Knebworth in Hertfordshire raste, wurde es allmählich heller. Flick sah aus dem Fenster und betrachtete die bescheidenen Häuschen mit den Gemüsebeeten im Vorgarten, die kleinen Landpostämter, in denen übellaunige Posthalterinnen bald wieder mit finsterer Miene Penny-Briefmarken über die Schalter schieben würden. Auch an verschiedenen Pubs fuhren sie vorbei. Flick glaubte das warme Bier zu schmecken und die klapprigen Klaviere zu hören – und war zutiefst dankbar dafür, dass die Nazis nicht bis hierhergekommen waren. Es war genau dieses Gefühl, das in ihr die Entschlossenheit wachsen ließ, nach Frankreich zurückzukehren. Sie wollte eine zweite Chance, eine zweite Gelegenheit bekommen, das Chateau zu zerstören. Wieder musste sie an die Menschen denken, die sie in Sainte-Cecile zurückgelassen hatte: Albert, den jungen Bertrand, die schöne Genevieve und wie sie alle hießen, die jetzt entweder tot oder gefangen waren. Sie dachte an die betroffenen Familien, die sich in Sorge verzehrten oder vor Trauer wie gelähmt waren. Flick war fest entschlossen, dass ihr Opfer nicht umsonst gewesen sein sollte.
    Ich muss sofort mit den Vorbereitungen beginnen, dachte sie. Ein Glück, dass die Besprechung so früh stattfindet – da kann ich gleich heute meinen neuen Plan vortragen. Die Führungsoffiziere der SOE würden zunächst skeptisch sein, so viel stand fest, denn bisher war noch nie ein reines Frauenteam mit einer solchen Mission betraut worden. Der Plan steckte voller Risiken – aber wo gab es die nicht?
    Als sie die nördlichen Vororte Londons erreichten, war es bereits heller Tag, und all jene, deren Arbeit in den frühen Morgenstunden begann, waren schon unterwegs: Briefträger und Milchmänner lieferten, was sie zu liefern hatten; Zugführer und Busschaffner traten zu ihrer Schicht an. Der Krieg war allgegenwärtig: Plakate, die vor Verschwendung warnten; der Zettel im Schaufenster eines Metzgers mit der Aufschrift »Heute kein Fleisch«; die Frau, die einen Müllkarren fuhr; eine zerbombte Häuserzeile. Aber niemand wäre hier auf die Idee gekommen, Flick anzuhalten, ihre Papiere zu verlangen, sie in eine Gefängniszelle zu werfen, sie zu foltern, um ihr Informationen abzupressen, und sie schließlich dann per Viehwaggon in ein Lager zu deportieren und dort verhungern zu lassen. Sie spürte, wie die innere Hochspannung der Spitzelexistenz allmählich wich, ließ sich tief ins Polster sinken und schloss die Augen.
    Sie erwachte, als der Wagen in die Baker Street einbog und an dem Haus mit der Nr. 64 vorbeifuhr: Agenten durften das Hauptquartier nicht betreten, weil man vermeiden wollte, dass sie bei Verhören dessen Geheimnisse preisgaben. Viele Agenten kannten nicht einmal die Adresse. Am Portman Square hielt der Wagen vor einem Wohnblock namens Orchard Court. Die Fahrerin sprang heraus und öffnete die Beifahrertür.
    Flick betrat das Gebäude und ging zu jener Wohnung, in der die SOE untergebracht war. Ihre Laune besserte sich schlagartig, als sie Percy Thwaite erblickte. Der Fünfzigjährige mit Halbglatze und zahnbürstenartigem Schnauzer empfand eine väterliche Zuneigung zu Flick. Er trug Zivil und salutierte nicht, weil man in der SOE

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