Die Leopardin
ärgerte sich über ihren Bruder. »Das war gemein von dir!«, schrie sie ihn an. »Ich dachte, du hättest eine Lösung für mein Problem – dabei hast du dir bloß einen Scherz mit mir erlaubt.«
»Das ist kein Scherz«, erwiderte Mark empört. »Wenn du eine Frau brauchst, nimm Greta.«
»Unmöglich«, sagte Flick. Die Vorstellung war geradezu lächerlich.
Oder etwa doch nicht? Mich hat Greta jedenfalls überzeugt, dachte sie, und das könnte ihr auch bei der Gestapo gelingen. Wenn sie verhaftet und ausgezogen wird, kommt die Wahrheit natürlich ans Licht – aber wenn es erst einmal so weit ist, dann ist ohnehin alles verloren.
Sie dachte an die höheren Ränge in der SOE und an Simon Fortescue beim MI6. »Die oberen Etagen würden da nie zustimmen.«
»Dann verschweig es ihnen halt«, schlug Mark vor.
»Verschweigen?« Im ersten Moment war Flick wie vor den Kopf geschlagen, doch dann fand sie den Gedanken gar nicht mehr so abwegig. Wenn Greta die Gestapo hinters Licht führen soll, dann muss es ihr auch bei der SOE gelingen, dachte sie.
»Warum denn nicht?«, fragte Mark.
»Ja, warum eigentlich nicht?«, wiederholte Flick.
»Mark, mein Süßer, worüber redet ihr denn bloß?«, fragte Gerhard. Beim Sprechen war sein deutscher Akzent noch auffälliger als beim Singen.
»Ehrlich gesagt, ich weiß es selber nicht genau«, antwortete ihm Mark. »Meine Schwester ist da in delikate Dinge verwickelt, top secret , verstehst du?«
»Ich werd’s dir erklären«, sagte Flick, an Gerhard gewandt, »aber erzähl mir erst einmal von dir. Wie hat es dich nach London verschlagen?«
»Na gut, mein Schatz, wo soll ich denn anfangen?« Gerhard zündete sich eine Zigarette an. »Ich komme aus Hamburg. Vor zwölf Jahren – ich war damals ein sechzehnjähriger Knabe und machte eine Lehre als Fernmeldetechniker – war das eine wunderschöne Stadt. Es gab viele Kneipen und Nachtclubs, und es wimmelte dort von Seeleuten, die auf dem Landgang über die Stränge schlagen wollten. Ich genoss diese Jahre in vollen Zügen. Mit achtzehn traf ich dann die große Liebe meines Lebens. Sie hieß Manfred.«
Tränen stiegen ihm in die Augen, und Mark tätschelte ihm die Hand. Gerhard schniefte in höchst undamenhafter Manier und fuhr dann fort: »Ich hatte schon immer für Frauenkleider geschwärmt, besonders für Spitzen-Dessous, hohe Absätze, Hüte und Handtaschen und ganz besonders für weit schwingende Röcke. Bloß habe ich mich damals noch ziemlich unbeholfen damit angestellt. Ich wusste nicht einmal, wie man einen Eyeliner benutzt. Manfred hat mir das alles beigebracht. Du musst wissen, dass er selber kein Transvestit war.« Ein Hauch von Zärtlichkeit lag über Gerhards Gesicht. »Er war sogar extrem maskulin. Er hat als Schauermann im Hafen gearbeitet, aber er liebte mich eben in Fummeln und brachte mir bei, wie man damit umgeht.«
»Und warum hast du Deutschland verlassen?«
»Diese elenden, verdammten Nazis haben Manfred abgeholt, Schätzchen. Wir waren schon fünf Jahre zusammen, als sie eines Nachts bei uns auftauchten und ihn mitnahmen. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Wahrscheinlich ist er längst tot, denn ich fürchte, dass er im Gefängnis nicht lange überlebt hat. Andererseits: Nichts Genaues weiß man nicht.« Tränen lösten seine Wimperntusche auf und rannen in schwarzen Streifen über seine gepuderten Wangen. »Kann auch sein, dass er noch am Leben ist und in einem ihrer grässlichen Lager dahinvegetiert.«
Gerhards Kummer war ansteckend; Flick kämpfte inzwischen selbst mit den Tränen. Was ist nur in die Menschen gefahren, dass sie einander so gnadenlos verfolgen?, dachte sie. Was veranlasst diese Nazis, harmlose Exzentriker wie Gerhard so zu quälen?
»Also bin ich dann nach London gegangen«, fuhr Gerhard fort. »Mein Vater war Engländer, ein Seemann aus Liverpool, der eines Tages in Hamburg von Bord ging und sich dort in ein hübsches deutsches Mädchen verliebte, das er dann auch geheiratet hat. Er starb, als ich erst zwei Jahre alt war – deshalb habe ich ihn nie richtig kennen gelernt. Aber ich trage seinen Nachnamen – O’Reilly – und hatte von Anfang an beide Staatsbürgerschaften. Trotzdem hat es mich 1939 meine gesamten Ersparnisse gekostet, einen Pass zu bekommen. Wie sich herausgestellt hat, bin ich gerade noch rechtzeitig abgehauen. Glücklicherweise gibt es für Fernmeldetechniker in jeder Stadt Arbeit – und so bin ich denn hier gelandet, bin der gefeierte Star von London, die
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