Die Leopardin
alles zu unsicher. Flicks Gedanken konzentrierten sich wieder auf Greta. Als Französin ging sie garantiert nicht durch. Selbst wenn den Gestapo-Leuten ihr Akzent vielleicht nicht auffiel, weil sie den gleichen Akzent hatten – der französischen Polizei würde sie nichts vormachen können. Musste sie denn unbedingt eine Französin spielen? Es gab doch eine ganze Menge deutscher Frauen in Frankreich: Offiziersfrauen, junge Frauen im Militärdienst, Fahrerinnen, Stenotypistinnen und Funkerinnen. Allmählich kehrte Flicks Zuversicht zurück. Warum sollte Greta nicht in die Rolle einer Wehrmachtssekretärin schlüpfen – nein, das ging auch wieder nicht! Irgendein deutscher Offizier könnte auf die Idee kommen, ihr Befehle zu erteilen. Sicherer war es, wenn sie als Zivilistin auftrat. Sie konnte als junge Frau eines Offiziers auftreten, die mit ihrem Ehemann in Paris lebte – oder besser in Vichy, das war weiter weg. Man musste sich eine Geschichte einfallen lassen, mit der man begründen konnte, warum sie mit einer Gruppe Französinnen unterwegs war. Vielleicht konnte ein anderes Mitglied des Teams als ihr Dienstmädchen posieren.
Was würde geschehen, wenn sie das Schloss betraten? Flick war sich ziemlich sicher, dass deutsche Frauen in Frankreich nicht in Putzkolonnen arbeiteten. Wie ließ sich vermeiden, dass die Deutschen Greta gegenüber misstrauisch wurden? Einmal mehr ergab sich hier das Problem, dass ihr deutscher Akzent vermutlich von den Deutschen selbst gar nicht bemerkt würde, wohl aber von den Franzosen. Ließ es sich irgendwie vermeiden, dass sie mit Franzosen sprach – vielleicht, indem sie so tat, als litte sie an einer Kehlkopfentzündung?
Ja, damit kam sie möglicherweise durch – wenigstens für ein paar Minuten. Obwohl keineswegs wasserdicht, war diese Option noch von allen die beste.
Greta beendete ihren Auftritt mit einem lustigen, anspielungsreichen Blues mit dem Titel Kitchen Man, der voller Zweideutigkeiten steckte. Dem Publikum gefiel vor allem die Zeile When I eat his doughnuts, all I leave is the hole. Unter Begeisterungsstürmen verließ sie die Bühne.
Mark erhob sich und sagte: »Wir können in der Garderobe mit ihr sprechen.«
Flick folgte ihm durch eine Tür neben der Bühne. Sie gingen einen muffigen, betonierten Gang entlang und betraten eine Art schmuddeligen Abstellraum, der beinahe überquoll von Bier- und Gin-Kartons und aussah wie der Keller einer heruntergekommenen Kneipe. Schließlich kamen sie an eine Tür, an die man mit Reißzwecken einen rosa Papierstern geheftet hatte. Mark klopfte an und betrat den Raum, ohne eine Antwort abzuwarten.
Das Mobiliar in dem winzigen Zimmer bestand aus einer Frisierkommode, einem von hellen Schminklampen flankierten Spiegel, einem Hocker und einem Filmplakat, auf dem Greta Garbo in Die Frau mit den zwei Gesichtern zu sehen war. Auf einem Ständer in Form eines Kopfes ruhte eine kunstvoll gearbeitete blonde Perücke. Das rote Kleid, das Greta auf der Bühne getragen hatte, hing an einem Haken an der Wand. Auf dem Hocker vor dem Spiegel saß, wie Flick zu ihrer totalen Verblüffung erkannte, ein junger Mann mit behaarter Brust.
Sie hielt die Luft an.
Es war Greta, das stand außer Frage. Das Gesicht war aufwändig mit Make-up zurechtgemacht: greller Lippenstift, falsche Wimpern, gezupfte Brauen und eine Puderschicht, die den Schatten eines dunklen Bartes übertönte. Das Haar war brutal kurz geschoren – sicher, damit die Perücke besser passte.
Der falsche Busen war vermutlich in das Kleid eingenäht. Greta trug noch einen Halbunterrock, Strümpfe und rote, hochhackige Schuhe.
»Das hättest du mir ruhig sagen können!«, fuhr Flick ihren Bruder an.
Mark lachte belustigt auf. »Flick, darf ich dir Gerhard vorstellen?«, sagte er. »Ihn freut es, wenn man ihm nicht auf die Schliche kommt.«
Flick sah selbst, dass Gerhard offenbar sehr zufrieden mit sich war – kein Wunder, so wie sie ihm auf den Leim gegangen war! Dass sie ihn ohne weiteres für eine echte Frau gehalten hatte, musste er als Kompliment für seine künstlerische Leistung empfinden. Nein, sie hatte keinen Anlass zu der Befürchtung, sie könnte ihn beleidigt haben.
Aber er war eben ein Mann. Und sie brauchte dringend eine Fernmeldetechnikerin. Die Enttäuschung tat ihr beinahe körperlich weh. Greta war das letzte Teil in einem Puzzlespiel, die Frau, mit der das Team vollständig gewesen wäre. Nun stand wieder einmal die gesamte Mission auf der Kippe.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher