Die Leopardin
weiß dich nicht zu schätzen«, sagte Mark in übertrieben melancholischem Ton und berührte Robbies Hand.
»Da hast du wohl Recht, weiß Gott. Darf ich euch was zu trinken bringen?«
Flick bestellte sich einen Scotch, Mark einen Martini.
Sie wusste nicht viel über Männer mit dieser Veranlagung. Zwar hatte Mark ihr seinen Freund Steve vorgestellt und sie kannte auch die Wohnung, in der die beiden lebten, doch hatte sie bisher niemanden aus ihrem gemeinsamen Freundeskreis kennen gelernt. Obwohl sie furchtbar neugierig darauf war, mehr über diese Welt zu erfahren, wollte sie sich doch nicht durch indiskrete Fragen bloßstellen.
Sie wusste nicht einmal, wie Mark und seine Freunde ihresgleichen bezeichneten. Alle Wörter und Begriffe, die sie kannte, hatten einen mehr oder weniger unangenehmen Beiklang: warme Brüder, Schwuchteln, Homos, Tunten. »Mark«, sagte sie, »wie nennst du eigentlich Männer, die. na, du weißt schon, denen Männer lieber sind?«
»Musikalisch, Schätzchen«, sagte er, grinste und wedelte mit der Hand. Die Geste wirkte sehr feminin.
Das muss ich mir merken, dachte Flick. Jetzt kann ich Mark gegebenenfalls fragen: ›Ist er musikalisch?‹ Sie hatte das erste Wort dieser Geheimsprache gelernt.
Eine große Blonde in einem roten Cocktailkleid fegte auf die Bühne. Applaus brandete auf. »Das ist Greta«, sagte Mark. »Tagsüber ist sie Fernmeldetechnikerin.«
Greta begann zu singen: »Nowbody Knows You When Youre Down and Out ... « Sie hatte eine kraftvolle Bluesstimme, doch Flick hörte sofort den deutschen Akzent heraus. Die Bandmusik übertönend, schrie sie Mark ins Ohr: »Ich dachte, du hättest gesagt, sie wäre Französin.«
»Sie spricht Französisch«, korrigierte er sie. »Aber sie ist Deutsche.«
Flick war bitter enttäuscht. Das klang gar nicht gut. Wahrscheinlich sprach Greta Französisch mit genauso starkem deutschem Akzent.
Dem Publikum gefiel Greta. Bei jeder Nummer klatschten die Leute begeistert. Wenn sie stoßende und kreisende Bewegungen zur Musik vollführte, wurde laut gejubelt und gepfiffen. Nur Flick wollte es nicht gelingen, sich zu entspannen und die Show einfach zu genießen. Ihre Sorgen hatten wieder die Überhand gewonnen. Sie hatte noch immer keine Fernmeldetechnikerin und war obendrein dabei, die zweite Hälfte des Abends sinnlos zu vergeuden.
Aber was konnte sie tun? Sie überlegte, ob sie nicht selbst noch rasch ein paar elementare Kenntnisse in Fernmeldetechnik erwerben könnte und wie lange sie dazu wohl brauchen würde. Im Allgemeinen kam sie mit technischen Dingen gut zurecht. In der Schule hatte sie sogar einmal ein Radio gebaut. So schwer konnte das nicht sein – es ging ja lediglich darum, die technischen Einrichtungen der Deutschen möglichst effektiv zu zerstören. Vielleicht reichte ein zweitägiger Schnellkurs mithilfe von Spezialisten vom General Post Office?
Das Problem lag darin, dass niemand genau wusste, welche Art von Anlagen die Saboteure im Schloss vorfinden würden. Sie konnten französischen oder deutschen Ursprungs oder eine Mischung aus beiden sein, vielleicht sogar angereichert mit amerikanischer Importware. Gerade auf dem Gebiet der Fernmeldetechnik waren die Amerikaner den Franzosen weit voraus. Es gab eine verwirrende Vielfalt an Geräten, und die Installationen im Schloss dienten verschiedenen Zwecken. Es gab eine manuelle Telefonvermittlung und eine automatische, eine Tandemvermittlung zur Verbindung anderer Vermittlungsstellen untereinander sowie eine Verstärkerstation für die entscheidende neue Fernverbindung nach Deutschland. Nur ein erfahrener Ingenieur oder Fernmeldetechniker konnte sich zutrauen, auf Anhieb zu erkennen, was er dort vorfand.
Es gab natürlich auch in Frankreich die entsprechenden Experten und Expertinnen – und warum sollte es ihr nicht gelingen, dort die geeignete Frau zu finden? Weil ihr die Zeit fehlte, war dieser Gedanke alles andere als vielversprechend; dennoch spielte ihn Flick durch. Die SOE konnte allen Resistance-Zellen eine entsprechende Nachricht senden. Wenn es irgendwo eine Frau gab, die den Anforderungen entsprach, würde sie ein oder zwei Tage benötigen, um sich nach Reims durchzuschlagen. Das passte zwar in den zeitlichen Rahmen, blieb aber, unter dem Strich, eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Und wenn die Resistance doch keine Fernmeldetechnikerin auftreiben konnte, gingen zwei Tage verloren und die Mission scheiterte, noch ehe sie richtig begonnen hatte.
Nein, das war
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