Die Leopardin
freundlich zu, und keine von ihnen gab in irgendeiner Weise zu erkennen, dass ihr etwas Verdächtiges aufgefallen war. Vor Erleichterung atmete Flick tief durch.
Die zweite Frau außer Maude, die Flick bisher nicht gesehen hatte, war Lady Denise Bouverie. Percy Thwaite hatte sie in Hendon befragt und für das Team angeworben, obwohl es Anzeichen dafür gab, dass sie es mit der Diskretion nicht allzu genau nahm. Sie erwies sich als ein unauffälliges Mädchen mit vielen dunklen Haaren, das von Anfang an einen etwas bockigen Eindruck machte. Obwohl sie die Tochter eines Marquis war, ging ihr das lockere Selbstbewusstsein, das für andere Mädchen aus der Oberschicht so typisch war, gänzlich ab. Sie tat Flick sogar ein wenig leid. Denise fehlte einfach jeder Charme, der sie hätte liebenswert machen können.
Das also ist meine Truppe, dachte Flick: eine Kokotte, eine Mörderin, eine Geldschrankknackerin, eine Pseudofrau und eine linkische Aristokratin. Irgendjemand fehlt – ja richtig, die andere Aristokratin. Diana war nicht erschienen – und es war inzwischen halb acht.
»Hast du Diana gesagt, dass um sechs Wecken ist?«, fragte Flick Percy Thwaite.
»Ich habe es allen gesagt.«
»Und ich habe um Viertel nach an ihre Tür geklopft.« Flick stand auf. »Ich seh besser mal nach. Zimmer zehn, oder?«
Sie ging hinauf und klopfte an Dianas Tür. Als niemand antwortete, trat sie ein. Das Zimmer sah aus wie nach einem Bombentreffer – ein offener Koffer auf dem zerwühlten Bett, Kissen auf dem Boden, Schlüpfer auf der Frisierkommode. Flick überraschte dieser Anblick nicht – Diana war immer von Menschen umgeben gewesen, deren Aufgabe es war, ihr nachzuräumen. Flicks eigene Mutter gehörte dazu. Tatsache war, dass Diana sich einfach irgendwo herumtrieb. Wir müssen ihr jetzt schleunigst beibringen, dass sie nicht mehr nach Belieben über ihre Zeit verfügen kann, dachte Flick verärgert.
»Sie ist verschwunden«, sagte sie zu den anderen. »Wir fangen ohne sie an.« Sie hatte sich an der Schmalseite des Tisches aufgebaut. »Vor uns liegen zwei Ausbildungstage. Am Freitagabend springen wir dann über Frankreich ab. Wir sind eine reine Frauentruppe, weil Frauen sich im besetzten Frankreich viel freier bewegen können – die Gestapo ist ihnen gegenüber nicht so misstrauisch. Unser Auftrag besteht darin, einen Eisenbahntunnel in der Nähe des Dorfes Maries unweit von Reims in die Luft zu sprengen. Er liegt an der Hauptstrecke von Paris nach Frankfurt.«
Flick warf einen Seitenblick auf Greta, die ja wusste, dass die Geschichte frei erfunden war. Greta schmierte gerade Butter auf eine Scheibe Toastbrot, sagte kein Wort und vermied es, Flick anzusehen.
»Normalerweise dauert die Agentenausbildung drei Monate«, fuhr Flick fort. »Dieser Tunnel muss aber bis spätestens Montagabend zerstört sein. Wir hoffen, euch binnen zwei Tagen in die wichtigsten Sicherheitsregeln einweisen zu können. Wir werden euch beibringen, wie man mit dem Fallschirm abspringt, und euch den Umgang mit der Waffe zeigen. Außerdem werdet ihr lernen, wie man ohne Lärm einen Menschen tötet.«
Trotz ihres üppigen Make-ups wirkte Maude auf einmal blass. »Menschen tötet?«, wiederholte sie. »Das kannst du doch von einer Frau nicht im Ernst erwarten, oder?«
Jelly schnaubte empört. »Es herrscht Krieg, ist dir das eigentlich klar?«
Plötzlich erschien Diana. Sie kam aus dem Garten; Pflanzenreste hingen an ihrer Kordhose. »Ich hab mich ein bisschen im Wald umgesehen«, sagte sie voller Begeisterung. »Großartig! Und seht mal her, was der Gärtner mir aus dem Gewächshaus mitgegeben hat.« Sie holte eine Hand voll reifer Tomaten aus einem Beutel und ließ sie über den Küchentisch kullern.
»Setz dich, Diana«, sagte Flick. »Du kommst zu spät für die Instruktionen.«
»Tut mir furchtbar leid, Schätzchen. Habe ich etwa deine schöne Ansprache verpasst?«
»Du bist jetzt beim Militär«, gab Flick wütend zurück. »Wenn man dir sagt, dass du Punkt sieben in der Küche zu sein hast, dann ist das kein Vorschlag, sondern ein Befehl.«
»Soll das etwa heißen, dass du von jetzt ab in diesem Gouvernantenton mit mir redest?«
»Setz dich und halt den Mund!«
»Es tut mir furchtbar leid, meine Liebe.«
Flick hob die Stimme: »Diana!, wenn ich sage ›Halt den Mund!‹, dann antwortest du nicht mit ›Es tut mir furchtbar leid‹, und außerdem ersparst du dir ab sofort das ›Schätzchen‹, verstanden? Halt einfach den
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