Die Leopardin
»Hier«, sagte er und schob Helicopter die Schreibutensilien zu, »das hilft Ihnen vielleicht beim Verschlüsseln Ihrer Nachricht.«
»Erst muss ich mir mal überlegen, was ich überhaupt sagen will.« Helicopter kratzte sich am Kopf und schrieb dann auf Englisch:
ANKUNFT OK STOP TREFFPUNKT KRYPTA UNSICHER STOP ERWISCHT VON GESTAPO ABER ENTKOMMEN ENDE
»Ich denke, das reicht fürs Erste«, sagte er.
»Wir sollten einen neuen Treffpunkt benennen, damit die Nächsten, die rüberkommen, wissen, wohin sie sich wenden sollen. Ich schlage das Cafe de la Gare vor, gleich neben dem Hauptbahnhof.«
Helicopter notierte sich den Namen. Dann entnahm er seinem Koffer ein seidenes Taschentuch, das mit einer komplizierten Tabelle bedruckt war. Sie bestand aus paarweise angeordneten Buchstabenreihen. Ebenfalls im Koffer befand sich ein Block mit zehn oder zwölf Seiten, die mit jeweils fünf Buchstaben umfassenden Nonsenswörtern bedeckt waren. Franck erkannte die Merkmale eines Ein-Block-Chiffriersystems zum einmaligen Gebrauch. Ein solcher Code ließ sich nicht knacken – es sei denn, man besaß den Block.
Über die einzelnen Wörter der Botschaft, die er senden wollte, schrieb Helicopter nun die Fünf-Buchstaben-Gruppen aus seinem Block. Dann wählte er anhand der geschriebenen Buchstaben die entsprechenden Kombinationen auf dem Seidentaschentuch aus. Über die ersten fünf Buchstaben des Wortes ANKUNFT hatte er – laut Block – BGKRU geschrieben. Der erste Buchstabe, das B, bestimmte, welche Spalte er aus der Tabelle auf dem Taschentuch auszuwählen hatte. Erste Buchstabenkombination in Spalte B war Ae. Also musste er das A von ANKUNFT durch den Buchstaben e ersetzen.
Mit den herkömmlichen Methoden ließ sich dieser Code nicht knacken, weil das nächste A ja nicht mehr durch ein e, sondern durch einen anderen Buchstaben ersetzt wurde. Jeder Buchstabe konnte praktisch jeden anderen darstellen. Ohne den Block mit den Buchstabengruppen war keine Entzifferung möglich. Selbst wenn es den Dechiffrierern gelang, neben der verschlüsselten Botschaft auch das unverschlüsselte Original zu ergattern, konnten sie keine andere Nachricht lesen, denn die nächste Botschaft würde ja mithilfe der nächsten Seite auf dem Block verschlüsselt sein. Daher sprach man vom »einmaligen« Block. Jede Seite wurde nur ein einziges Mal benutzt und danach sofort verbrannt.
Nachdem Helicopter seine Nachricht chiffriert hatte, schaltete er das Funkgerät ein und drehte an einem Knopf, der auf Englisch als Crystal Selector bezeichnet war. Franck erkannte beim näheren Hinsehen drei schwache, mit gelber Wachskreide gezogene Striche auf der Skala: Helicopter hatte seinem Gedächtnis misstraut und deshalb die Sendepositionen markiert. Die Einstellung, die er jetzt benutzte, war wohl für Notfälle reserviert; die anderen beiden waren für normale Übertragungen bzw. Empfänge vorgesehen.
Zum Schluss suchte er die richtige Frequenz, und Franck sah, dass auch der Frequenzwähler mit gelben Strichen markiert war.
Ehe Helicopter seine Botschaft abschickte, meldete er sich bei seiner Empfangsstation mit der folgenden Nachricht:
HLCP DXDX QTC1 QRK? K
Dieter Franck zog die Brauen zusammen und überlegte. Die erste Gruppe musste die Kennung von »Helicopter« sein. Auf die zweite, DXDX, konnte er sich keinen Reim machen. Die Zahl am Ende der dritten bedeutete vermutlich so etwas wie: »Ich habe 1 Nachricht für Sie.« Die Buchstabenkombination QRK mit dem Fragezeichen am Ende hieß wahrscheinlich, dass der Absender wissen wollte, ob die Nachricht klar und deutlich verstanden wurde. »K«, das wusste Franck, bedeutete »Ende«. Was blieb, war die rätselhafte Buchstabenreihe DXDX.
Er ließ es darauf ankommen. »Vergessen Sie nicht Ihren Sicherheitscode«, sagte er.
»Hab ich doch gar nicht«, sagte Helicopter.
Dann lautet er eben DXDX, folgerte Franck.
Helicopter drückte auf die Empfangstaste, und alle hörten die Antwort im Morsealphabet:
HLCP QRK QRV K
Die erste Gruppe bedeutete, wie gehabt, Helicopters Kennung. QRK war bereits Bestandteil der gesendeten Nachricht gewesen und hieß ohne Fragezeichen wahrscheinlich: »Verstehe Sie laut und deutlich.« Das QRV konnte Franck sich nicht erklären, doch er vermutete, dass es die Aufforderung zur Sendung der Hauptnachricht enthielt.
Franck sah Helicopter zu, als dieser seine Nachricht über den Kanal morste, und seine Stimmung hob sich. Des Spionenjägers Traum hatte sich erfüllt: Er hatte einen
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