Die Leopardin
Worte wurden übertönt. »Ruhe!«, schrie Franck auf Deutsch, und Weber hielt ängstlich den Mund.
Franck stieß einem der beiden Gestapo-Männer unsanft die Pistolenmündung an die Nase und schrie, wieder auf Französisch: »Weg! Weg von ihm! Lassen Sie ihn frei!«
Die beiden Männer erhoben sich mit schreckensbleichen Gesichtern und traten ein paar Schritte zurück.
Franck drehte sich nach Stephanie um und rief ihr, sie bei Mademoiselle Lemas’ Namen nennend, zu: »Jeanne! Verschwinde! Hau ab!« Stephanie lief sofort los. Sie schlug einen weiten Bogen um die Gestapobeamten und rannte auf das Westportal zu.
Unterdessen rappelte sich der Agent wieder auf. »Los, laufen Sie ihr nach, bleiben Sie bei ihr!«, schrie Franck und deutete auf Stephanie. Der Mann packte seinen Koffer und rannte los. Er schwang sich über die Holzlehnen des Chorgestühls und sprintete Haken schlagend durchs Mittelschiff.
Weber und seine drei Begleiter sahen ihm verstört hinterher. »Auf den Bauch legen!«, schrie ihnen Franck zu und entfernte sich, als sie seinem Befehl Folge leisteten, im Rückwärtsgang vom Schauplatz des Geschehens. Noch immer hielt er sie mit der Waffe in Schach. Dann drehte er sich um und rannte in der gleichen Richtung davon wie Stephanie und der Agent.
Die beiden liefen gerade durch das Portal ins Freie. Franck erreichte Leutnant Hesse, der mit unbeweglicher Miene im hinteren Teil der Kirche stand, und raunte ihm atemlos zu: »Reden Sie mit diesen verdammten Idioten. Erklären Sie ihnen, was wir hier vorhaben, und sorgen Sie dafür, dass sie uns nicht folgen.« Er steckte seine Pistole wieder in das Holster und rannte hinaus.
Der Motor des Simca heulte auf. Franck schubste den Agenten auf die schmale Rückbank und sprang selber auf den Beifahrersitz. Stephanie trat das Gaspedal durch. Der Kleinwagen schoss aus der Parklücke wie ein Champagnerkorken aus der Flasche, und sie jagten in halsbrecherischem Tempo davon.
Dieter drehte sich um und spähte durchs Rückfenster. »Niemand hinter uns«, sagte er. »Fahr langsamer. Wir wollen jetzt nicht noch von einem Verkehrspolizisten angehalten werden.«
»Ich bin Helicopter«, sagte der Agent auf Französisch. »Was, zum Teufel, war denn da in der Kirche los?«
Dass »Helicopter« ein Deckname war, stand für Dieter Franck fest. Er erinnerte sich an den Decknamen von Mademoiselle Lemas, den Gaston Lefevre ihm genannt hatte. »Das ist Bourgeoise«, sagte er, deutete auf Stephanie und fügte improvisierend hinzu: »Ich bin Charenton.« Aus irgendeinem Grund war ihm der Name des Gefängnisses eingefallen, in dem der Marquis de Sade eingesessen hatte. »Bourgeoise hatte in den letzten Tagen Verdacht geschöpft, dass der Treffpunkt in der Kathedrale überwacht werden könnte, und bat mich deshalb, sie zu begleiten. Ich gehöre nicht zur Bollinger-Gruppe. Bourgeoise ist aus Sicherheitsgründen isoliert.«
»Ja, das kann ich verstehen.«
»Wie dem auch sei, wir wissen jetzt definitiv, dass die Gestapo uns eine Falle gestellt hat. Wir können von Glück reden, dass Bourgeoise mich zur Absicherung mitgenommen hat.«
»Sie waren großartig!«, sagte Helicopter begeistert. »Mein Gott, hatte ich die Hosen voll! Ich hätte gleich an meinem ersten Einsatztag alles verpatzt.«
Hast du auch, dachte Franck für sich.
Er hatte den Eindruck, dass es ihm letztlich doch noch gelungen war, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Helicopter war jetzt überzeugt, es mit zwei Resistance-Mitgliedern zu tun zu haben. Sein Französisch klang perfekt, aber so gut, dass er Francks leichten deutschen Akzent herausgehört hätte, war er auch wieder nicht. Ob es noch andere Verdachtsmomente gab, die seinen Argwohn erwecken konnten – vielleicht später, wenn sich die erste Aufregung gelegt hatte? Er, Franck, war zu Beginn der Auseinandersetzung aufgesprungen und hatte »Nein!« gesagt – aber ein einfaches »Nein!« besagte nicht viel, ganz abgesehen davon, dass es wahrscheinlich niemand gehört hatte. Willi Weber hatte auf Deutsch »Herr Major!« gerufen, was er mit einem Schuss in die Luft beantwortet hatte, um weiteren Indiskretionen vorzubeugen. Hatte Helicopter diese beiden Wörter mitbekommen, kannte er ihre Bedeutung und würde er später, wenn er sich daran erinnerte, über sie stolpern und misstrauisch werden? Nein, wohl kaum. Wenn Helicopter die Wörter verstanden hatte, dann bezog er sie wohl eher auf einen der anderen Gestapo-Männer. Unter ihren Zivilkleidern konnten sich die
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