Die Letzte Arche
Raum, Raum zum Laufen und Spielen, allein und ohne den Druck von Menschen überall um einen herum, ohne die Verantwortung, die Erwachsene trugen. Einem Copyright-Stempel mit der Jahreszahl 2018 zufolge war das lose auf Sorrent in Italien basierende Szenario von Maria Sullivan, einer HeadSpace-Nutzerin in Manchester, Großbritannien, als ihr privater Raum kreiert und dem Nimrod-Projekt von dem Unternehmen gespendet worden. Holle fragte sich, was aus Maria Sullivan geworden war.
»Das kleine Mädchen ist Cora?«
»Du hast es erfasst. Ich hab versucht, sie da rauszuholen. Hab’s mit sämtlichen Taktiken probiert, die du mir empfohlen hast, Wilson. Zum Beispiel Abmachungen treffen – noch eine halbe Stunde, aber dann kommst du raus. Nichts funktioniert, nicht bei ihr. Glaub mir, ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen, als dich zu rufen.«
»Ich will deine Rechtfertigungen nicht hören«, sagte Wilson. »Schalte einfach aus.«
Theo hob seinen Handheld und ließ den Daumen über einer Taste schweben. »Seid ihr bereit?«
»Mach schon.«
Theo ließ den Daumen niedersausen und trat zurück. Das Licht über der Tür wechselte von Rot zu Grün.
Fast im selben Moment flog die Zellentür auf, und Cora Robles kam herausgetaumelt. Sie schob sich eine Sensormaske vom Gesicht. Cora trug einen schwarzen Ganzkörperanzug sowie Handschuhe mit dicken berührungsstimulierenden Fingerpads, und sie zog ein dickes Kabel hinter sich her, das in die
Zelle führte. Sie starrte Theo wütend an. »Du hast es ausgeschaltet? Ich war noch nicht fertig!«
Er wich zurück. »Hör mal, Cora, ich habe dich oft genug gebeten …«
»Gib mir die Konsole.«
»Nein, Cora.«
»Schalt wieder ein, du Arschloch!« Sie stürzte sich auf Theo, die behandschuhten Fäuste erhoben.
Holle sprang vor und stellte sich zwischen Cora und Theo. Sie steckte ein paar Hiebe auf die Brust ein, dann gelang es ihr, die Arme um Coras Oberkörper zu schlingen. Cora schlug um sich und versuchte, an Theo heranzukommen, aber trotz ihres Zorns war sie schwach und nicht schwer zu bändigen. Ihr Anzug war so eng, dass Holle spürte, wie dünn sie war – ihre Knochen standen vor, die Schulterblätter, die Hüften. Entweder hatte sie Mahlzeiten ausgelassen, oder sie hatte Essen gegen HeadSpace-Credits getauscht. Wilson zerrte an dem Datenkabel, das Cora mit der Zelle verband, und zog sie von Holle weg. Cora rutschte aus und fiel rücklings auf den Gitterboden. Sie lag schwer atmend da, mit verzerrtem Gesicht.
Coras Verfassung schockierte Holle. Sie verspürte Schuldgefühle, weil sie nichts davon bemerkt hatte. Schließlich war sie mit dieser Frau aufgewachsen. Cora war immer schön, intelligent und kokett gewesen, ein energiegeladendes Partygirl. Vielleicht hatte sich all diese Energie hier, im Gefängnis der Arche, nun gegen sie selbst gerichtet.
Holle kniete sich neben sie. »Hör mal, Cora, tut mir leid, aber es ging nicht anders. Du musstest da rauskommen. Deine kleine Tochter ist weg.« Da Cora Megs Vater auf der Erde zurückgelassen hatte, kümmerte sie sich nun meistens um das Kind.
»Sie weiß es«, fauchte Wilson. »Wir haben es in die Zelle eingespeist. Aber es war ihr egal. Sie interessiert sich mehr für ihre HeadSpace-Fantasien als für ihr eigenes Kind.«
»Und sie hat keine Credits mehr«, sagte Theo und schaute grinsend auf sie hinunter.
Wilson war wenig angetan von seinem Gebaren. »Worüber lachst du? Du betreibst dieses Scheiß-System, Eindringling. Also liegt es doch wohl in deiner Verantwortung, mit solchen Scherereien fertigzuwerden.«
Theo hob die Hände. »Als ich das letzte Mal versucht habe, Cora da rauszuholen, hat sie mich beschuldigt, ich hätte sie tätlich angegriffen. Das riskiere ich nicht nochmal. Immerhin ist sie Kandidatin, eine von euch. Ich will wenigstens Zeugen dabei haben.«
Als sich herausgestellt hatte, dass der Zugang zu den HeadSpace-Zellen eingeschränkt werden musste, war Holle auf die Idee gekommen, die Verantwortung für die Organisation des Zuteilungssystems Theo zu übertragen. Er erledigte das durchaus kompetent, indem er ein System von Credits einführte, das in den öffentlichen Bereichen des Archen-Archivs galt. Aber er war einfach zu großspurig. Vielleicht war etwas dran an den Gerüchten, dass er einen schwunghaften Tauschhandel mit HeadSpace-Credits betrieb und zu einer Art Dealer für Süchtige wie Cora geworden war. Holle hatte es nicht glauben wollen. Theo hatte seit dem Start eine erhebliche
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