Die Letzte Arche
Entwicklung durchgemacht, dachte sie, obwohl er noch immer erst einundzwanzig war. Und es war keine ausschließlich positive Entwicklung gewesen.
Sie wandte sich ab und legte den Arm um Cora. »Komm, ich helfe dir, aufzustehen und diesen dämlichen Anzug auszuziehen. Du siehst aus, als bräuchtest du dringend was zu trinken,
was zu essen und ein bisschen Schlaf, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Und dann musst du uns helfen herauszufinden, wo Meg sein könnte…« Sie führte sie weg.
Wilson machte sich mit einem letzten zornigen Blick auf Theo davon.
62
In Seba hatte Kelly den Tag an ihrem Tisch auf Deck acht mit der üblichen Abfolge von Besprechungen begonnen. Holle erschien, um zu berichten, was sich drüben in Hawila in Bezug auf Meg tat. Sie ließ sich mit einem Kaffee am Tisch nieder; ihr war klar, dass sie warten musste, bis sie an der Reihe war.
Kelly wirkte müde und übernächtigt. Das Tausend-Tage-Fest zwang sämtliche Fraktionen und Rivalen auf der Arche, bei einem einzigen Ereignis zu kooperieren, und bereitete Kelly und ihren Führungsleuten darum noch mehr Kummer als üblich. Im Augenblick hörten Kelly und Masayo Saito jedoch Elle Strekalow zu, die sich über die von Kelly vorgeschlagenen neuen Fortpflanzungsregeln beklagte.
Eine Mutter kam mit einem kleinen Kind vorbei, das noch keine zwei Jahre alt war. Kelly deutete mit großer Geste auf die beiden. »Schaut euch das an! Sue Turco mit ihrem Balg von Joe Antoniadi – wie haben sie die Kleine genannt, Steel? –, und Gerüchte besagen, dass sie schon einen zweiten Braten in der Röhre hat. Ihr kennt die grundlegende Regel: Keine Geburten mehr, bevor wir die Erde II erreichen. Wir müssen nur noch vier, fünf Jahre warten. Die einzigen Kinder auf diesem Schiff sollten diejenigen sein, die im Mutterleib an Bord gekommen sind, wie die kleine Helen Gray. Aber es gibt immer wieder mal neue Schwangerschaften. Die Leute kriegen Kinder, weil sie welche kriegen wollen !«
»Doc Wetherbee hat gesagt, Fortpflanzung sei eine natürlich Reaktion nach einem Trauma, so wie die Geburtenrate nach einem Krieg steigt«, sagte Masayo. »Die Flut, die ganze Startprozedur, die Loslösung von allem, was wir kennen – das war bestimmt traumatisch genug.«
»Vielleicht langweilen sie sich auch bloß«, gab Holle zu bedenken.
»Warum auch immer sie’s tun, es entspricht nicht unserer Politik, es entspricht nicht den von den Sozialingenieuren aufgestellten Regeln für maximale genetische Diversität, es entspricht nicht dem Schiffsgesetz.« Kelly betonte ihre Worte, indem sie mit der flachen Hand auf den Tisch schlug.
»Aber das hat nichts mit meinem Problem zu tun«, mischte sich Elle Strekalow ungeduldig ein. »Mir geht’s um dieses Gerede über die Vaterwahl für Zweitkinder.«
Holle, die den Anfang des Gesprächs nicht mitbekommen hatte, fragte: »Was ist los, Elle?«
Elle lächelte sie an. Sie sah müde aus. »Es ist wegen Jack Shaughnessy. Kellys neue Politik hat dazu geführt, dass er wieder um mich ›herumschnüffelt‹. So drückt Thomas es jedenfalls aus. Ich will nichts mit Jack zu tun haben, ebenso wenig wie zuvor. Thomas glaubt es aber nicht. Er denkt, Kellys Politik wird Jack die Tür öffnen.«
Kelly schüttelte den Kopf. »Es ist nicht meine Politik. Momentan ist es bloß die Empfehlung der Sonderkommission, die ich gebeten habe, über das Problem nachzudenken. Sieh mal, wir haben einen Konflikt zwischen zwei Pflichten. Wir müssen versuchen, in der nächsten Generation für maximale genetische Diversität zu sorgen. Gleichzeitig haben wir dank der Anwesenheit der Ungebetenen und der Illegalen ein unausgewogenes Geschlechterverhältnis auf der Arche …«
Es gab mehr Männer als Frauen. Drei homosexuelle Paare, zwei männliche und ein weibliches, verringerten die Last ein wenig, obwohl ein weiteres Problem darin bestand, dass auch von den Schwulen und Lesben ein Beitrag zum Genpool der nächsten Generation erwartet wurde; aber die Sozialingenieure hatten zumindest Leitlinien hinterlassen, wie man damit umgehen sollte. Was das grundlegende Problem der Unausgewogenheit betraf, boten diese Leitlinien jedoch keine Hilfe.
Elle sagte hitzig: »Ich habe das Recht, mir auszusuchen, wer mein Lebensgefährte sein soll.«
»Ja, natürlich«, sagte Kelly geduldig. »Aber die überzähligen Männer haben ebenfalls Rechte. Und wir als Gruppe haben die Pflicht, einen möglichst großen Genpool für die Zukunft zu bewahren. «
»Ich muss
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