Die Letzte Arche
ich nicht viel nach. Es sind noch Jahre bis zum Start.«
»Du wirst eine Pflicht haben«, bohrte Wetherbee nach. »Du wirst nicht nur als Person dabei sein, sondern auch als Genquelle. Als jemand, der zur genetischen Diversität beiträgt.«
»Ich interessiere mich für die Triebwerke, die Theorie des Warp-Feldes …«
»Ja, aber das ist ein entscheidender Aspekt der Mission, ihre menschliche Seite. Du wirst Kinder zeugen müssen, auf der Arche oder auf der Erde II. Das ist der zentrale Punkt. Wie fühlst du dich dabei?«
»Schmutzig.«
»Das hat dein Vater gesagt. Aber es muss nicht unbedingt wahr sein.«
»Schmutzig, schmutzig!« Zane fegte mit einer weit ausholenden Handbewegung die Spielfiguren vom Brett. Dann sackte er in sich zusammen.
Wetherbee hielt die Aufzeichnung an.
»Du hast ihm ganz schön zugesetzt«, sagte Grace.
»Ich weiß, ich weiß.« Wetherbee seufzte und massierte sein blasses, stoppelbärtiges Gesicht. »Aber als er mit diesem Anknüpfungspunkt
über seinen Vater kam, dachte ich, das wäre eine Gelegenheit, die ich nicht verpassen sollte. Ich glaube, die Beziehung zum Vater ist der Schlüssel zu dem ganzen Schlamassel.
Seht euch den Widerspruch an, den er zu lösen versucht. Sein Vater hat ihm den ganzen Schmerz und die Schande des sexuellen Missbrauchs aufgeladen, dazu seinen eigenen Antrieb und Ehrgeiz und vielleicht auch noch seine eigene Scham darüber, was aus seinem Sohn wurde. Zane ist also schmutzig wegen dieser Sache mit Harry Smith, und er ist nicht geeignet, Kinder zu haben. Andererseits sollte er aber nicht auf der Arche sein, wenn er nicht zum Genpool beitragen kann. Er hätte auf der Erde in den Händen der Ungeheuer bleiben sollen, die sein Vater ihm so drastisch dargestellt hat. Das ist eine grundlegende Wahl zwischen Leben und Tod. Man hätte ihn kaum unter größeren Druck setzen können. Vielleicht ist er tief im Innern diesem ganzen Thema immer ausgewichen, hat den Widerspruch begraben. Dann hat er sich in den Erinnerungslücken, der Selbstverletzung gezeigt. Und schließlich …«
»Und schließlich habe ich die Krise ausgelöst«, sagte Holle. »An dem Tag, an dem ich ihm vorgeschlagen habe, ein Kind mit ihm zu bekommen.«
»Das war eine der nettesten Gesten gegenüber einem Mann wie Zane, die ich mir vorstellen kann«, sagte Grace. »Du konntest ja nicht wissen, was in seinem Kopf vorging. Er wusste es nicht mal selbst.«
»Auch ich weiß es nach Jahren meiner tollpatschigen Therapie immer noch nicht«, sagte Wetherbee. »Aber ich glaube, er leidet unter irgendeiner dissoziativen Störung. Seine Identität hat sich aufgespalten, verursacht von den Widersprüchen, die er nicht lösen kann, und dem Schmerz, den er begraben muss. Das
erklärt die Erinnerungslücken, die offenkundigen Veränderungen seiner Identität – die Art, wie er ›aufzuwachen‹ scheint und nicht genau weiß, wo oder auch nur wann er ist.«
Venus sagte: »Du meinst, unser einziger Warp-Ingenieur ist eine Art Dr. Jekyll und Mr. Hyde?«
»Und was machen wir nun?«, fragte Holle.
Er zuckte die Achseln. »Meine Möglichkeiten zur Durchführung von Kernspintomografien sind begrenzt. Ich hab’s ausprobiert, aber ich sehe keine physischen Anomalien in seinen Gehirnfunktionen, ganz egal, welcher Aspekt seines Ichs gerade dominierend ist. Ich denke, die einzige Antwort heißt Therapie – um ihn und den angerichteten Schaden vollständig zu verstehen. Und dann müssen wir eine Methode finden, den Heilungsprozess einzuleiten. In solchen Fällen arbeitet man häufig mit Hypnose. Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemanden hypnotisiert, aber im Archiv gibt es Verfahren, die ich vielleicht anwenden könnte.« Er schnitt eine Grimasse. »Das wird noch Jahre dauern, wenn es überhaupt klappt.«
»Ich schätze, wir haben keine große Wahl«, sagte Holle. »Danke, Mike. Ich weiß, dafür bist du nicht angeheuert worden.«
»Stimmt.« Wetherbee machte ein ärgerliches Gesicht, dann grinste er. »Aber Zane ebenso wenig.« Als sie aufstanden, um zu gehen, löschte er den Bildschirm und wandte sich einem Computerprogramm zu.
Das erregte Venus’ Aufmerksamkeit. »Was ist das?«
»Ich versuchte, der KI des Schiffes Unendlichkeitsschach beizubringen. Mit einem kleinen Mann im Ohr könnte ich Zane vielleicht wenigstens mal einen richtigen Kampf liefern …«
In den frühen Morgenstunden des folgenden Tages wurde Holle von zwei weiteren Anrufen geweckt. Der erste kam von Wilson
Argent in
Weitere Kostenlose Bücher