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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
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jetzt Angst und weinte. Holle löste sich vom Steg, sank wie ein Engel in die Tiefe und barg das Baby in versengten Raumanzugärmeln.

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    JUNI 2048
     
    An dem Morgen, an dem das Urteil über Thomas Windrup verkündet werden sollte, wachte Holle in einem Raum mit seltsamen Metallfarben und fremdartigen Gerüchen auf, den sie nicht kannte. Dies war nicht ihre Kabine, nicht Seba, nicht das Modul, das sie mittlerweile als ihre Heimat betrachtete. In den Wochen seit dem Brand war sie in Hawila stationiert gewesen, wo sie sich mit Paul Shaughnessy schichtweise eine winzige Kabine teilte, einen ehemaligen, provisorisch umfunktionierten Wartungsraum. Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt.
    Sie brauchte nicht lange, um sich anzuziehen.
    Paul war mit ihren Druckanzügen draußen vor der Kabine. Er wartete, während sie den Sanitärblock benutzte. Dann machten sie sich auf den Weg zur Luftschleuse in der Nase des Moduls, wo sie rasch in ihre Anzüge schlüpften. Holle versuchte nicht, Paul in ein Gespräch zu verwickeln. Heute ging er nach Seba hinüber, um bei der Verurteilung des Mannes dabei zu sein, der versucht hatte, seinen Bruder zu töten, indem er dessen Anzug sabotierte. Paul hatte seinen Zorn seit dem Vorfall nur mühsam im Zaum halten können, und es war am besten, ihn in Ruhe zu lassen.
    Sie passierten die Schleuse, schwebten in die Dunkelheit hinaus und klinkten ihre Gurte in das Seil, das die Module jetzt verband. Es war kein straff gespanntes Rotationsseil, sondern nur eine Orientierungsleine zwischen den Modulen, an der sie sich
die zweihundert Meter bis Seba Hand über Hand entlanghangelten. Er war ganz schön anstrengend, sich auf diese Weise fortzubewegen, aber es sparte Treibstoff.
    Die Module trieben im Raum, stationär in Bezug aufeinander, aber nicht Seite an Seite, nicht einmal parallel; Hawila war im Vergleich zu Seba gekippt, so dass die beiden Module wie Schiffswracks auf dem Grund des immer tiefer werdenden Ozeans der Erde beieinanderlagen. Weitere Seile verbanden Hawila mit dem Warp-Generator, so dass die von Außenscheinwerfern beschienenen Komponenten der Arche in einer Art Spinnennetz hingen. Und jenseits der Module lagen die stillen, stetig leuchtenden Sterne.
    An Bord von Seba begaben sich Holle und Paul sofort zu Deck zehn hinunter, indem sie sich von der Nase des Moduls aus an Haltegriffen entlang abwärtsbewegten. Kelly hatte angeordnet, dass die Urteilsverkündung genau dort stattfinden sollte, wo Thomas Windrups Sabotageakt den katastrophalen Brand ausgelöst hatte. Ohne Rotation gab es in dem Modul praktisch keine Schwerkraft, und überall schwebten Menschen, die sich von einem Haltegriff zum anderen abstießen. Die Kinder, alle zu jung, um sich an den schwerelosen Flug von der Erde zum Jupiter zu erinnern, fanden es toll, und durch die Luft fliegende oder purzelnde Kinder, die Fangen spielten, waren zu einer kleinen Gefahr geworden. Im Modul roch es jedoch immer noch nach Rauch und verbranntem Kunststoff.
    Auf Deck zehn wartete Kelly vor einer kleinen Kabine, deren Tür geschlossen war. Trotz wochenlanger Aufräumarbeiten gab es hier keine Möbel, nicht einmal irgendwelche intakten Decksböden, an denen Möbel befestigt werden konnten. Allerdings hatte man Seile über das Deck gespannt, von einer geschwärzten Wand zur anderen, und die sich versammelnden Menschen
hielten sich an ihnen fest oder suchten sich Ecken mit dafür geeigneten Vorrichtungen an den Wänden.
    Holle schien das letzte noch fehlende Mitglied der Führungs-Crew zu sein. Sie sah Wilson, Venus, Mike Wetherbee, Masayo Saito – sogar Zane, und sie fragte sich, welche seiner alternierenden Persönlichkeiten zu dieser Zusammenkunft erschienen war. Doc Wetherbee vermied es geflissentlich, irgendjemand in die Augen zu schauen. Wilson, immer noch Kellys Liebhaber, hatte unübersehbar noch bis vor kurzem hart gearbeitet; er trug eine Weste und Shorts, und seine muskulösen Arme und Beine waren mit Asche beschmiert.
    Jack Shaughnessy war nicht da. Nach den massiven Verbrennungen an den Armen und auf der Brust, die er erlitten hatte, war er vermutlich noch so schwach, dass Doc Wetherbee ihn nicht entlassen hatte. Und Thomas Windrup war auch nicht da, um das Urteil zu hören, das über ihn gefällt werden sollte. Venus schaute misstrauisch drein. Thomas Windrup war einer ihrer Navigations- und Astronomie-Kollegen, gehörte also zu »ihren« Leuten.
    Kelly, auf subtile Weise von der Menge isoliert, ging Notizen in ihrem

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