Die Letzte Arche
und nervös schlich sie um den heißen Brei herum.
Soweit sie wusste, hatte Wilson nach der Aufteilung Kelly nicht durch eine andere Dauerpartnerin ersetzt. Aber er hatte sich zahlreiche Geliebte aus der ganzen Crew zugelegt. Er hatte auch ein paar Kinder gezeugt. All dies war mit Zustimmung der beteiligten Frauen geschehen, und die Sozialingenieure in Colorado hätten es gutgeheißen, dass er seine Gene verbreitete. Doch dann war ihm bei einer Party Steel Antoniadi ins Auge gefallen. Nach der Farbe der Wände in diesem leergeräumten Modul benannt, war sie in der Mikrogravitation zu einem dunklen, gertenschlanken, unbewusst anmutigen Geschöpf herangewachsen, exotisch in ihrem Kittel und mit ihren Tattoos und erst vierzehn Jahre alt. Ihre Mutter, eine Illegale namens Sue Turco, hatte zu viel Angst vor Wilson gehabt, um etwas dagegen zu unternehmen. Aber ihr Vater, Joe Antoniadi, ein ehemaliger Kandidat, hatte sich bei den anderen Eltern darüber beschwert, insbesondere bei Holle, seiner Chefin.
Wilson schnitt Holle das Wort ab. »Was soll der Scheiß, Holle. Ich zwinge die Kleine zu nichts.«
»Darum geht es nicht, Wilson …«
»Schau mich an. Ich bin der mächtigste Mann auf dem Schiff. Seit zehn Jahren. Und reich bin ich auch! Ein Kredit-Millionär. Aber ich kann mir nichts kaufen. Also, was ist für mich drin? Ich will’s dir sagen. Nur das Appetitlichste auf dem Schiff. Ich
rede von jungem Fleisch, Holle. Jung, heranreifend und genial biegsam nach einem Leben in der Schwerelosigkeit. Das ist für mich drin – habe ich jedenfalls beschlossen, als ich gesehen habe, wie Steel da durch die Luft gewirbelt ist.«
»Bei der Mission geht’s um die Kinder, Wilson«, sagte Venus hitzig. »Die sind nicht bloß irgendwelche ›Appetithappen‹, an denen du dich gütlich tun kannst. Was kommt als Nächstes, suchst du die Schülergruppen heim, um Köder für deine Handlanger zu finden? Ich kann einfach nicht glauben, was aus dem Jungen geworden ist, mit dem ich aufgewachsen bin.«
Wilson lachte nur. Einer seiner Kumpels furzte, ein obszön feuchtes Geräusch.
»Du legst es anscheinend drauf an, Ärger zu kriegen, Wilson«, sagte Holle. »Wir sind hier nicht in einem feudalen Dorf. Letztendlich regierst du auf Konsensbasis. Und du treibst es zu weit.«
Wilson warf Jeb und Dan einen Blick zu. Die beiden grinsten ihn an. »Ich lass es mir durch den Kopf gehen. Kann ich sonst noch was für die Damen tun?«
80
AUGUST 2059
An dem Morgen, an dem das U-Boot von der Arche Zwei kommen sollte, herrschte große Aufregung.
Kelly betrachtete ihre Raumfahrergefährten, die sich am Rand des Floßes drängten und darauf warteten, dass das U-Boot auftauchte. Gegenüber der gesunden, robusten Besatzung des Floßes mit ihrer gebräunten Haut und den straffen Schwimmmuskeln wirkten die Seba-Leute wie Gespenster, wie geisterhafte Wesen mit zu langen Gliedmaßen und zu großen Köpfen. Ihr Eifer beunruhigte Kelly ein wenig. Sie hatten den größten Teil ihres Lebens, wenn nicht sogar ihr ganzes Leben in einer künstlichen Umgebung verbracht und ließen sich zu leicht von dem schäbigen Müll-Floß ablenken, auf dem sie den Rest ihres Lebens würden verbringen müssen. Aber schließlich war es Kelly selbst gewesen, die Thandie Jones bei ihrem ersten richtigen Gespräch nach der Arche Zwei gefragt hatte.
Während sie warteten, begann es zu regnen; die Tropfen pladderten ins Meer. Am Himmel verweilten noch die letzten Reste einer roten Morgendämmerung, und ein schwacher Schwefelgestank lag in der Luft. Thandie schnupperte. »Vulkanwetter. Regen kondensiert um Ascheteilchen …«
Stürmischer Jubel ertönte, als das U-Boot die Wasseroberfläche durchbrach. Nackte, braunhäutige Kinder schwammen zu ihm hinaus. Kelly sah einen stromlinienförmigen Rumpf, einen Kommandoturm mit Periskop und Funkmasten und ein kräftiges
Sternenbanner auf der Flanke. Das U-Boot kam so nah heran, dass Leitern vom Floß zum Boot gelegt werden und man trockenen Fußes hinübergehen konnte. Die Floßkinder flitzten unbekümmert über die Leitern hin und her und spielten im Wasser, das vom Rumpf des Unterwasserfahrzeugs herabströmte.
Zwei Angehörige der U-Boot-Besatzung kamen heraus, ein Mann und eine Frau. Sie waren jung, vielleicht Anfang zwanzig, trugen einigermaßen sauber aussehende blaue Overalls und Stiefel und hatten einen militärischen Kurzhaarschnitt. Kräftig gebaut, aber blass, hatten sie mehr mit den Seba-Leuten als mit den Flößern
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