Die Letzte Arche
naheliegend. Doch bei einer solchen Verteilung würde jedes Individuum nur eine kleine Anzahl möglicher Partner aus der eigenen Altersgruppe vorfinden. Um die Paarungschancen jedes Einzelnen zu maximieren und die genetische
Diversität der Gruppe als Ganzes sicherzustellen, hatten die Sozialingenieure nun beschlossen, dass alle an Bord ungefähr dasselbe Alter haben sollten: Sie würden einer einzigen »Altersklasse« angehören, wie die Demografen es nannten. Der Grundgedanke war, dass sie etliche Jahre warten sollten, bis sie Kinder bekamen – vielleicht sogar bis nach der Landung auf dem Zielplaneten –, dann jedoch einen weiteren großen Kader von Kindern produzierten, die alle ungefähr im selben Alter waren und ihren Eltern in einem Abstand von zwanzig, fünfundzwanzig oder dreißig Jahren die Alterspyramide hinauf folgten. Wenn diese dann ihrerseits den Kinderschuhen entwuchsen, würden auch sie feststellen, dass sie eine große Auswahl an potenziellen Partnern hatten.
So also sah der Plan aus. Als die Kandidaten das allmählich begriffen, schauten viele von ihnen beunruhigt drein – Susan Frasier zum Beispiel, die oft von ihren Neffen und Nichten sprach und von ihrem Wunsch, lieber früher als später eigene Kinder zu bekommen.
Holle machte ein entsetztes Gesicht. »Mein Gott, was für eine Reise das werden wird. Nur wir , keine Erwachsenen, keine Kinder und ein Flug, der kein Ende nimmt.«
Wilson grinste. »Ist das zu viel für dich, Mäuschen? Willst du ausscheiden und hierbleiben, um deine Babys schwimmen zu lehren?«
»Sei kein Arschloch«, sagte Holle mit ihren langen, volltönenden schottischen Vokalen.
Zane behielt seine Zweifel für sich. Ihn persönlich interessierte das Kinderkriegen nicht die Bohne, obwohl es seine Pflicht sein würde, seine Gene weiterzugeben, wenn er in die Crew aufgenommen wurde. Aber die Altersbegrenzungen bereiteten ihm Kopfzerbrechen. Er gehörte zu den Jüngsten in der
Gruppe. Was, wenn er ausschied, nur weil sein Geburtstag just auf der falschen Seite irgendeiner willkürlich dekretierten Grenze lag? Das war noch so etwas, worüber man sich Sorgen machen konnte, eine weitere sinnlose, unkontrollierbare Angst.
In seinem Augenwinkel blitzte etwas auf.
Er drehte sich um. Es war irgendwo im Norden gewesen, wie ein ferner Blitz oder die Spiegelung der Sonne auf einem Kippfenster. Einige der anderen zögerten, abgelenkt von dem Blitz oder von Reflexen in den Displays ihrer Handys.
Jetzt begannen die Telefone erneut zu klingeln. Zane holte seins aus der Tasche.
Holle legte ihre Hand auf seine. Sie drückte ihr Handy an die Schläfe. »Warte, Zane. Nicht einschalten.«
Die ewige Furcht nagte tief in seinem Bauch. »Was ist los?«
»Harry Smith kommt her. Er wird’s dir sagen.« Sie schaute sich um und strich sich eine Locke aus den Augen. »Wir müssen dich zum Center zurückbringen. Don, hilf mir.«
»Klar.« Don kam herbei, energisch und kompetent.
Sie führten Zane die Straße entlang, Don auf einer Seite, Holle auf der anderen, beide größer als er. Die anderen betrachteten ihn mitfühlend. Jeder schien zu wissen, was los war – jeder außer ihm. Selbst Holles und Dons unbeholfene Fürsorge kam ihm wie eine Demütigung vor. Es war, als würden seine schlimmsten Befürchtungen wahr. »Was ist denn? Ist irgendwas mit meinem Vater?«
»Warte auf Harry«, sagte Holle. Sie wollte ihm nicht in die Augen schauen.
Und dann hörte er ein Grollen wie von fernem Donner, das von Norden kam.
20
Im Cultural Center wartete Harry Smith auf sie. Er trug einen schwarzen Pullover und eine schwarze Hose. Smith war jetzt über vierzig, ein großer, schwerer Mann, kräftig und physisch direkt, und seine Miene war ernst. Sobald Zane hereinkam, legte er ihm den Arm um die Schultern und führte ihn von den anderen weg zu einem Büro.
Harry und Zane brauchten lange, um mit Hilfe von Fernsehen, Computer und Handy die Nachrichten zu enträtseln, die aus Denver kamen, und ebenso lange dauerte es, bis Zanes verwirrtes Bewusstsein akzeptierte, dass all dies real war. Während der ganzen Zeit erinnerte er sich immer wieder an die flüchtig hingeworfenen Worte: Ein Gramm Antimaterie reicht für ein Hiroshima …
Der Unfall hatte sich in dem Teilchenbeschleuniger seines Vaters bei Byers ereignet. Eine Antiprotonen-Falle – eine Magnetflasche – hatte versagt. Die freigesetzte Antimateriemenge war weitaus geringer gewesen als ein Hiroshima-Gramm. Aber sie hatte gereicht, um ganze
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