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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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es nicht«, antworte ich, was, geografisch gesehen, gelogen ist, aber in anderer Hinsicht durchaus stimmt.
    »Hör zu, Ty«, sagt er. »Geh irgendwohin, in ein Café oder so etwas, und rufe mich von dort aus wieder an. Ichkomme hin und hole dich ab. Egal wo. Aber geh irgendwohin und bleib dort.«
    Wenn es doch nur so einfach wäre. »Bist du mal Soldat gewesen, Patrick?«, frage ich.
    »Was?«
    »Soldat. Im Krieg.«
    Er klingt ein bisschen überrascht. »Um im Zweiten Weltkrieg gekämpft zu haben, müsste ich so ungefähr fünfzehn Jahre älter sein, Tyler.«
    »Ach. Entschuldige.«
    »Aber mein Vater war Soldat. Warum willst du das wissen?«
    »Nur so.« Ich hatte gehofft, dass er vielleicht weiß, ob das mit der Kriegsneurose stimmt oder nicht, aber offensichtlich weiß er es auch nicht. Also muss ich ihn direkt fragen.
    »Patrick, habe ich früher mal bei euch gewohnt? Warum?«
    »Du meinst, als du noch klein warst?«
    »Ja.«
    »Danny hat uns gebeten, dass wir uns eine Zeit lang um dich kümmern. Er hat es nicht geschafft, weil er damals noch studiert hat. Es war alles sehr schwer.«
    »Aber was war mit meiner Mum?«
    Patrick antwortet nicht. Zuerst denke ich, der Akku hat sich verabschiedet, und schaue aufs Display; er ist ziemlich runter, aber dann höre ich seine Stimme. Sie hört sich ziemlich krächzend an, überhaupt nicht nach Patrick.
    »Er hat sie … Sie musste ins Krankenhaus, Ty. Hat sie dir nie erzählt, was damals passiert ist? Du musst dich darüber wirklich mal mit deinen Eltern unterhalten.«
    Also hatte ich recht gehabt. Er hat sie geschlagen. Wenn Patrick das sagt, muss es stimmen. Ich muss nicht weiterfragen. Es ist eiskalt und ich habe noch anderes zu tun.
    »Danke. Ich muss jetzt Schluss machen. Vielen Dank.«
    »Ty … leg nicht einfach auf, um Himmels willen. Sag mir, wo du bist. Wir kriegen das schon alles wieder –«
    Dann kommt nichts mehr. Der Akku ist tot.
    Ich bleibe noch eine Zeit lang in der Kälte sitzen und halte das Handy ans Ohr. Ich hätte mir ein paar Nummern aus der Adressenliste aufschreiben sollen, solange der Akku noch ging. Dann hätte ich von einer Telefonzelle aus anrufen können. Daran habe ich nicht gedacht. Ich bin dumm. Dabei weiß ich überhaupt nicht, warum ich ihn überhaupt angerufen habe. Vielleicht nur, um das hinauszuzögern, was ich jetzt tun muss. Und jetzt muss ich es tun.
    Ich entferne mich langsam von dem verlassenen Busbahnhof und suche nach einer Bushaltestelle. Ich weiß, welchen Bus ich nehmen muss. Hier ist die eine Endstation der Linie. Ich muss zur anderen.
    Jetzt bin ich an der Bushaltestelle. Die Nachtbusse fahren alle halbe Stunde, und als endlich einer auftaucht, klappere ich vor Kälte schon mit den Zähnen. Dann erst fällt mir ein, dass ich keine Monatskarte mehr habe, und ich muss mit einem Zehnpfundschein bezahlen, was denBusfahrer sichtlich nervt. Ich gehöre nicht mehr nach London. Ich bin ein Fremder. Ich bin heimatlos. Ich steige ins Oberdeck, wo nie besonders viele Leute sitzen.
    Dann fahren wir durch leere, dunkle Straßen, der Bus füllt sich und leert sich wieder, und ich bin froh, dass ich einigermaßen klarkomme, nicht mehr so eine Heidenangst habe wie zuvor, ich bin ruhig … fast schläfrig. Bis ein Typ sich neben mich setzt. Er ist größer als ich, hat wie ich einen Kapuzenpulli an und stinkt total nach Schweiß.
    Ich rücke weiter ans Fenster, dann fällt mir auf, dass er noch zwei Kumpels dabeihat. Sie setzen sich hinter uns, sonst ist niemand in der Nähe, und sie glotzen mich alle an. Es gefällt mir überhaupt nicht, wie sie mich anglotzen.
    Der Schweißheini stupst mich an. »Wo willst’n hin?«
    Ich reagiere nicht auf ihn, sondern starre auf das dunkle Fenster. Dort sehe ich nur mein Spiegelbild. Meine dunkle Kapuze. Meine großen Augen. Ich weiß nicht, wie er mich sieht, aber ich finde, ich sehe verängstigt aus.
    Sein Kumpel beugt sich über den Sitz vor, bis sein Gesicht direkt neben meinem ist. Sein Atem riecht nach Bier und Curry. Ich zucke zurück. »Immer schön antworten, du kleine Schwuchtel«, knurrt er.
    »Äh … keine Ahnung …«, sage ich.
    »Willste dort gesund ankommen?«, fragt Schweißheini.
    »Ähm … ja, schon.«
    Etwas stößt mir in die Seite. Ich schaue nach unten. Er hat ein Klappmesser in der Hand und drückt mir dieKlinge gegen die Rippen. Es ist noch nicht ausgeklappt, aber es kann mir ruck, zuck durch die Kleider und die Haut schneiden. Wir starren beide das Messer an, als hätte es

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