Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
Vom Netzwerk:
werde.«
    Sie nimmt meine Hand. »Ich bleibe bei dir.« Ihre Augen glänzen, dann streichelt sie mir übers Gesicht. Meine Haut kribbelt und mir läuft ein Schauer über den ganzen Körper. Ich beuge mich vor … aber ich kann nicht … ich darf nicht. Ich nehme ihre Hand und drücke sie ebenfalls, aber ich drehe den Kopf zur Seite.
    »Nein, Claire, ich muss allein über alles nachdenken. Es tut mir leid.«
    Ich gehe mit ihr bis zur Straßenecke, an der sich unser Hostel befindet. »Ich bin nicht lange weg«, sage ich. Sie sieht wütend aus … verwirrt … Ich lüge, und sie weiß es, da bin ich sicher, deshalb ist es eigentlich nicht gelogen. In meinem Herzen ist es wahr.
    Wie die meisten Dinge in meinem Leben ist es fast wahr.

Kapitel 18
Nachtbus
    Ich brauche einen Ort, an dem mich niemand findet. Irgendwo, wo ich in Ruhe nachdenken kann. Wo es warm und trocken ist.
    Ich spaziere ziellos an der Strandpromenade entlang und auf einmal stehe ich an der Bushaltestelle. Ich werfe einen sehnsüchtigen Blick zu Starbucks rüber, wo inzwischen alles dunkel ist, und dann habe ich eine Idee. Wenn ich einen Bus nach London erwische, komme ich von dort aus ins ganze Land, egal, wohin ich will. Ich fahre einfach irgendwohin, und dann habe ich endlos Zeit, um im Warmen, Trockenen nachzudenken. Der letzte Bus nach London geht in einer halben Stunde. Ich kaufe mir von Archies Geld eine Fahrkarte – wo hat er bloß die viele Kohle her? – und steige ein.
    In meinem Kopf wirbelt alles kunterbunt durcheinander. Claire, die Polizei, meine Mum … wie Kleider in einem Trockner; ich versuche echt, mich zu konzentrieren und mir einen Plan auszudenken, aber dann ist alles dunkel und jemand schüttelt mich und sagt: »Aussteigen, junger Mann.« Ich schrecke auf und stelle fest, dass wir in London sind. Es ist eiskalt und ich habe Hunger undKopfweh. Der Geschmack in meinem Mund erinnert mich an faule Kohlrüben. Es ist ein Uhr in der Nacht und die nächsten Busse gehen erst in sechs Stunden. Warum habe ich nicht daran gedacht? Jetzt bin ich hier gestrandet.
    London bei Nacht ist eigenartig. Man hört keines der üblichen Geräusche, nicht mal den Verkehrslärm. Deshalb kommt einem jedes kleinste Geräusch umso lauter vor, jede Bewegung wirkt unscharf und lässt einen zusammenzucken. Wie in einem Horrorfilm, kurz bevor das Gemetzel losgeht. Man weiß genau, dass gleich etwas Schreckliches passiert, es ist bloß eine Frage von winzigen Details. Es ist zu still, zu leer – ich muss irgendwohin.
    Dann kommt mir ein Name in den Sinn und ich weiß es … Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich weiß, mit wem ich reden muss. Ich will nicht, aber ich muss.
    Zuerst ziehe ich Archies Handy hervor. Der Akku ist fast leer und wahrscheinlich kann ich das Ding nicht mehr lange benutzen. Ich gehe seine Adressenliste durch, bis ich Patricks und Helens Nummer finde. Ich drücke auf Wählen. Es klingelt vier, fünf Mal, und ich will schon aufgeben, da bellt mir Patricks Stimme ins Ohr: »Wer ist da? Archie, bist du das? Ty?«
    Ich will antworten, ehrlich, aber mein Mund ist zu trocken. Und so sitze ich auf einer Wartebank, halte das Handy ans Ohr, schaukele langsam vor und zurück und höre zu, wie er fragt, wo ich bin, was los ist und ob er kommen soll und mich abholen.
    Er sagt etwas auf Französisch, etwas Sanftes, Beruhigendes,und mir gefällt der Klang, aber ich bin zu müde, um etwas zu verstehen. Dann wechselt er wieder ins Englische. Alles in Ordnung, sagt er, niemand ist sauer. Niemand wird mich zu etwas zwingen, wenn ich es nicht will. Ich soll einfach nur nach Hause kommen.
    Was meint er damit – nach Hause ?
    »Tyler«, sagt er, »ich glaube, du bist es. Wir machen uns alle große Sorgen um dich. Willst du mir nicht sagen, wo du bist?«
    Nein. Es geht nicht.
    »Du steckst in Schwierigkeiten«, sagt er. »Nicki und Danny wissen, dass sie alles falsch gemacht haben. Aber jetzt haben sich alle beruhigt. Wir haben Archie gefunden. Jetzt müssen wir nur noch dich finden und dann ist alles in Ordnung.«
    Ich finde meine Stimme wieder, aber sie hört sich überhaupt nicht nach mir an: »Nein. Bestimmt nicht.«
    »So in Ordnung, wie wir es hinkriegen, das verspreche ich. Jetzt sag mir, wo du bist.«
    Ich werde von einem Geräusch abgelenkt. Ein Betrunkener, der torkelnd im Kreis geht, auf den Gehsteig reihert und herumgrölt: »Ich hab’s ihnen doch gesagt, ich hab ’ s ihnen doch gesagt!«
    »Wo bist du?«, fragt Patrick noch einmal.
    »Ich weiß

Weitere Kostenlose Bücher