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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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auf irgendwelche Partys, wo sie von allen Typen angemacht wird. Auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass sie was mit Pizzagesicht Jordan oder mit Mini-Max anfängt, aber garantiert sind auch jede Menge aus der Zehnten und der Elften hinter ihr her. Aber selbst wenn ich direkt im Haus neben ihr wohnte, würden ihre Eltern mir nicht erlauben, sie je wiederzusehen.
    »Archie, hast du gefragt, ob sie Claire hierher bringen?« Jemand muss Claires Eltern davon überzeugen, dass ich so krank bin, dass sie unbedingt zu mir kommen muss. Schließlich habe ich ihr damals praktisch das Leben gerettet, vielleicht haben sie ja das Gefühl, in meiner Schuld zu stehen, jedenfalls wäre das durchaus angebracht. Aber nichts ist geschehen, und blöderweise geht es mir auch von Tag zu Tag besser, deshalb ist es eigentlich nicht mehr so unbedingt nötig, dass sie herkommt.
    Ich tue so, als hätte ich jede Menge Schmerzen und als ginge es mir wirklich sehr schlecht, aber ich glaube nicht, dass ich irgendjemanden damit beeindrucke. Außer meiner Mum und meinem Dad, die sich ewig darüber streiten, ob man sich hier ordentlich um mich kümmert oder nicht. Ich setze alle meine Hoffnungen in die beiden, obwohl es mir absolut falsch vorkommt, von ihnen als »die beiden« zu denken.
    »Ich hab deine Mutter gefragt«, sagt Archie. »Ich hab dir das doch schon dreimal erzählt. Sie hat gemeint, dass sie drüber nachdenken will. Aber im Auto, als wir vom Hostelnach Fulham zurückgefahren sind, hat sie gesagt, Claires Mutter sei eine engstirnige blöde Kuh und dass du zu gut für Claire bist, deshalb würde ich nicht zu viel erwarten.«
    »Gut. Dann musst du eben ran. Gib mir ein Blatt Papier.«
    Ich schreibe ihm sorgfältig Claires Mail-Adresse auf. Meine Hand zittert ein bisschen und die Handschrift sieht aus wie von einem Sechsjährigen.
    »Schreib ihr. Sag ihr, dass ich sie unbedingt sehen muss. Bitte, Archie, sag ihr, wo ich bin und wie wichtig es ist.«
    »Alles klar, aber sie lassen sie garantiert nicht herkommen. Niemand kann hier so einfach rein, nicht mal unsere Großeltern, niemand.«
    »Du darfst doch rein.«
    »Ja, aber nur, weil ich mit deiner Mutter und deinem Vater komme. Eigentlich dürfen nur die beiden rein. Meine Mum leiht ihnen ihr Auto und dann nehmen sie mich einfach mit.«
    »Wohnen sie beide bei euch?«
    »Ja. Aber in getrennten Zimmern. Sie scheinen ganz gut miteinander auszukommen. Sie haben viel miteinander geredet. Meine Mum dreht noch durch, weil sie nicht weiß, was zwischen den beiden abläuft. Sie ist echt neugierig. Deshalb leiht sie ihnen auch das Auto … damit ich ein bisschen für sie spionieren kann.«
    »Aha. Und?«
    »Sie reden viel über dich. Als du noch klein warst und wie du in der Schule gewesen bist. Ziemlich langweiligesZeug. Er wuselt ständig um sie herum, macht ihr was zu essen und erkundigt sich ständig, ob alles mit ihr in Ordnung ist. Neulich hat er sie tatsächlich mit einem Löffel Suppe gefüttert. Das war ziemlich schräg.«
    Das ist wirklich schräg. Eine Zeit lang sagt keiner von uns etwas. Wir denken daran, wie schräg das ist.
    »Meine Mum glaubt, dass er sie immer noch liebt«, quatscht Archie weiter. »Sie hat gesagt: ›Mein kleiner Bruder ist schon normalerweise nicht gerade der Allerschlauste, aber wenn Nicki in der Nähe ist, verliert er auch noch seine restlichen paar Gehirnzellen.‹«
    »Hat sie das zu dir gesagt?«
    »Nein, am Telefon, zu meinem Dad. Ich habe am anderen Apparat mitgehört.«
    »Ach so. Na dann … Sag mir Bescheid, wenn du … wenn du irgendetwas siehst … oder hörst. Wenn Claire hierherkommt, müssen sie sie auf jeden Fall reinlassen. Auf jeden Fall. Sonst muss ich hier irgendwie raus …«
    So viel am Stück hab ich noch nicht geredet, seit ich hier drin bin, und ich merke, dass meine Atmung flacher und flattriger wird und dass die Worte immer langsamer aus mir rausfließen. Die Augen tun mir weh, und ich muss sie zumachen, weil es zu heftig wird.
    »Du siehst echt mies aus, Mann«, sagt er und hört sich leicht besorgt an. »Ich geh sie besser holen. Wir sehen uns dann.«
    »Ja …« Aber meine Stimme ist nur noch ein Flüstern und ich lehne mich zurück und ruhe die Augen aus. Ich blinzele auch nicht, als meine Mum und mein Dad reinkommen.Irgendetwas geht da eindeutig vor sich, also ist es am besten, wenn ich einfach so tue, als würde ich schlafen, vielleicht finde ich ja etwas heraus.
    Ich höre, wie sie neben meinem Bett miteinander flüstern.

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