Die letzte Aussage
immer noch sauer auf sie sein, aber ich spüre, wie sich mein Mund zu einem gewaltigen Grinsen verzieht. Sie lächeln auch. Dann fällt mir ein Hindernis ein. »Nic, du sprichst überhaupt kein Französisch … und Gran auch nicht …« Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es lernen. Also können wir diesen Plan vergessen.
»Es wird bestimmt nicht ganz leicht. Aber wir können es lernen. Außerdem bin ich sicher, dass die meisten Leute dort Englisch sprechen.« Ich bin mir da überhaupt nicht so sicher, und ich sehe, dass auch mein Dad ein bisschen unsicher aus der Wäsche guckt. Sie drückt meine Hand. »Du musst es uns beibringen. Hauptsache, wir sind in Sicherheit.«
»Kommen uns Helen und Patrick dort besuchen? Und Meg?«
»Ganz bestimmt«, antwortet mein Dad. »Meine Eltern haben sich große Sorgen um dich gemacht und tun alles, um dir zu helfen.« Dabei knabbert er die ganze Zeit an seinem Daumen. Vermutlich ein Zeichen dafür, dass ermit seinen Eltern wohl immer noch nicht so gut klarkommt.
»Mann«, sage ich. »Mannomann …« Auf einmal passt alles zusammen, ich sehe es direkt vor mir: Ich gehe in Frankreich in die Schule, lerne richtig gut Französisch, habe französische Freunde … ich werde Freunde haben und auch wieder ein richtiges Leben. Ich kann auf den französischen Straßen laufen gehen. Es ist so, als hätte ich auf einmal meine Zukunft zurückbekommen. Ich werde ein Zuhause haben. Ich kann mich wieder ganz neu erfinden, als brandneuer Franzose.
Vielleicht lernen Mum und Gran ja tatsächlich Französisch und gewöhnen sich daran, in einem Dorf zu wohnen. Sie könnten Hühner halten oder so was. Ich könnte so ein Motorrad fahren wie Dad. Vielleicht hätte ich einen französischen Namen … nicht Didier, auch nicht Thierry … Patrice ist zu nahe an Patrick … Eric. Nach Eric Cantona, dem legendären Spieler von Manchester United. Das wäre cool.
Meine Mum sieht meinen Dad an und lächelt. »Ich hab dir ja gesagt, dass es ihm gefallen wird«, sagt sie. Er grinst zurück. Einen kurzen Moment wird mir schlecht. Ich weiß, dass er auf sie steht, ich sehe es an seinen Augen. Ihr Lächeln sieht richtig nett und freundlich aus. Zu freundlich? Keine Ahnung.
Andererseits kann ich so etwas immer schwer einschätzen. Vielleicht liegt es ja nur an mir, dass sie sich wieder so gut verstehen.
Kapitel 30
Jan e jigar
Ein neuer Arzt schaut sich die Wunde an, die normalerweise immer dick verbunden ist. Seine Hände gleiten über meinen Körper und ich starre krampfhaft aus dem Fenster. Ich bin nicht gern Patient, überhaupt nicht. Ich liege nicht gern fast nackt auf einem Bett, während mich ein anderer befingert. Meiner Mum gefällt es auch nicht. Sie sitzt direkt neben mir und schaut ebenfalls weg.
»Wie geht es ihm?«, fragt sie.
»Sehr gut«, antwortet der Doktor. »Hervorragende Genesung. Du kannst bestimmt schon bald wieder nach Hause.«
Diesen Arzt habe ich noch nie gesehen. Ich vermute, er stammt aus Pakistan. Seine Aussprache ist so ähnlich wie die von Mr Patel. »Du hast sehr viel Glück gehabt«, sagt er und schaut in meine Krankenakte. »Wäre der Notarzt ein bisschen später gekommen, hättest du verbluten können.«
Meine Mum steht abrupt auf. »Ich muss mal kurz verschwinden«, sagt sie. In letzter Zeit muss sie ständig aufs Klo. Keine Ahnung, ob das mit der Schwangerschaft zusammenhängt oder weil sie es im Krankenhaus ein bisschen stressig findet. Ich will sie aber nicht danach fragen.
Der Arzt sieht ihr nach. »Tyler«, sagt er dann, »ich hoffe, dass du dich ab jetzt gut um deine Leber kümmerst. Sie wurde schwer verletzt. Kümmere dich um sie und sie wird dir in Zukunft gute Dienste leisten. Weißt du überhaupt, was deine Leber für dich tut?«
»Ähmm …« Mir fällt nur ein, dass man’s an die Leber kriegt, wenn man zu viel Alkohol trinkt. Das müsste also bedeuten … »Speichert sie den Alkohol im Körper?«
»Nicht direkt. Sie entzieht dem Körper die Gifte, also auch Alkohol. Dabei leistet sie sehr viel, sie ist ein erstaunliches Organ. Sie macht aber noch ganz andere Sachen und sorgt im Allgemeinen dafür, dass der Körper sich in gutem Zustand befindet.«
Ich hab’s kapiert. Sie ist so was wie die Waschküche für den Körper. Also kann es nicht gut sein, wenn jemand ein schmutziges Messer hineinstößt.
»Ja, klar«, sage ich. Dann fällt mir etwas ein.
»Sprechen Sie Urdu?«, frage ich ihn – und zwar auf Urdu, und er lässt fast sein Klemmbrett
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