Die letzte Chance - Final Jeopardy
war das »Ich hab’s ja gewußt«-Problem, wie wir das nannten. In diesem Fall rief er an und bat mich dringend um zehn Minuten Zeit, dann kam er vorbei, legte mir eine Hypothese
dar und bat mich um Rat. Diese zehnminütige Darlegung dauerte nie weniger als eine halbe Stunde, und wenn Sarah oder ich am Ende einen Vorschlag machten, mit dem Phil offenbar nicht gerechnet hatte, sagte er: »Ich hab’s ja gewußt.« Warum hast du mich dann überhaupt damit behelligt?
Die andere Eigenheit, für die er berüchtigt war, sehr zum Ärger der meisten seiner Kollegen, bestand darin, daß er acht oder zehn von uns zum selben Problem hartnäckig um Rat ersuchte, ohne uns zu sagen, daß er bereits die anderen konsultiert hatte. Unter uns kursierte der Scherz, falls er mitten in einem Prozeß auf der Heimfahrt von einem Bus überfahren würde, müßte das Verfahren nicht einmal um eine Stunde vertagt werden. Es gab mindestens ein Dutzend unter uns, die die Fakten bis ins kleinste Detail genauso gut kannten wie er und die sich die Akten kommen lassen und den Prozeß bis zum Urteil durchziehen konnten. Er hatte es sich bei Sarah verscherzt, denn sie eröffnete jede Unterhaltung mit ihm mit der Frage: »Wie viele andere Assistenten hast du deswegen bereits gefragt?« Wenn er das Ganze schon mit der Hälfte der Behörde durchgekaut hatte, warf sie ihn einfach raus.
»Was ist los, Phil?«
»Haben Sie ein paar Minuten Zeit für eine Frage, Alex?«
»Ein paar.«
»Ich habe da ein Problem mit der Zeugin in dem Fall, den Sie mir im September übertragen haben - den mit der Frau, deren ehemaliger Freund zu ihrer Wohnung zurückkam, um seine Sachen abzuholen, und sie dann zu Brei schlug, als sie keinen Sex mit ihm wollte. Wissen Sie, welchen Fall ich meine?«
»Klar.«
»Nun, sie hat drei Termine bei mir abgesagt. Hat mir immer wieder gesagt, sie wolle keinen Prozeß, weil sie ihn immer noch liebe. Ich hab’ versucht, einen Antrag mit seinem Anwalt zu erarbeiten, weil ich mir dachte, lieber akzeptiere ich leichte Körperverletzung, als ihn ohne Strafe davonkommen zu lassen.«
»Wo liegt das Problem?«
»Sie hat mich heute ganz hysterisch angerufen. Sie habe ihre Meinung geändert. Sie habe heute vormittag eine Handleserin aufgesucht. Hat der nichts aus ihrer Lebensgeschichte erzählt,
nichts über den Typen, und die Handleserin guckt ihr in die Hand und sagt: >Es gibt einen Mann in Ihrem Leben, der sehr gefährlich ist.< Da ist sie ausgeflippt. Sie hat entsetzliche Angst. Nun will sie den Prozeß durchziehen.«
»Sie meinen, ihr Ex-Freund hat sie mit zwei gebrochenen Rippen, einem lockeren Zahn, einer gebrochenen Nase und einem blauen Auge ins Krankenhaus eingeliefert, aber erst eine Wahrsagerin konnte sie davon überzeugen, daß der Kerl gefährlich ist? Ich bin sicher, sie saß vor der Handleserin mit einem großen Veilchen, und leicht verbogener Nase, und die Kristallkugel sagt, daß sie von einem gefährlichen Mann geschlagen wurde. Vielleicht sollten wir eine Wahrsagerin einstellen, die uns bei widerspenstigen Zeuginnen behilflich ist.«
»Was soll ich nun mit dem Antrag machen, den ich gestellt habe?«
»Ziehen Sie ihn zurück. Falls der Anwalt zu beknackt war, ihn anzunehmen, zitieren Sie sie morgen her, wenn sie noch scharf darauf ist auszusagen, und bringen Sie den Fall vor die Grand Jury. Bestellen Sie den Haftbeamten, selbst wenn es sein regulärer freier Tag ist, ich stehe für die Überstunden gerade. Stellen Sie ihn unter Anklage, und lassen Sie uns auf ein Kapitalverbrechen statt auf leichte Körperverletzung plädieren. Sorgen Sie dafür, daß die einstweilige Verfügung zu ihrem Schutz erneuert wird.«
»Klar, das weiß ich ja. Ich werd’ mich drum kümmern.«
»Sonst noch was heute?«
»Nee - das war’s schon. Ich gebe Ihnen dann Bescheid.«
Der Rest des Tages verging rasch mit dem üblichen Routinekram. Jedesmal, wenn das Telefon klingelte, befürchtete ich, es wäre Battaglia, und ich spielte schon mit dem Gedanken, ihn zu fragen, ob ich die Verabredung mit Johnny Garelli einhalten sollte. Aber er rief kein einziges Mal an, und da ich wußte, daß er dagegen sein würde, unterließ ich es einfach, ihn mit der Angelegenheit zu belästigen.
Mike rief mich kurz vor vier an, als er im Morddezernat eintraf. »Was bist du doch für ein Waschlappen«, schalt ich ihn. »Du konntest mich nicht mal anrufen, um mir zu berichten, daß die Quinn-Schwestern Jed auf dem Foto erkannt haben, wie?«
»Ehrlich gesagt,
Weitere Kostenlose Bücher