Die letzte Chance - Final Jeopardy
sich auf diese Zeugenaussage aus - und all diese Fälle von Mißbrauch haben vor den Ereignissen stattgefunden, über die sie vor diesem Gericht ausgesagt hat.
Sie entschuldigen meinen Klienten nicht, Euer Ehren, aber gewiß wird der Eindruck von Mr. Cerones Handlungen durch ihre vergangenen Erfahrungen gemindert.«
Hatte ich den Kerl richtig verstanden? Wollte er dem Richter weismachen, es sei okay, einen Menschen zu mißbrauchen, der früher schon mißbraucht worden war?
Nun horchte auch Hadleigh auf. »Nun, gewiß, der Eindruck dieses Verbrechens ist wegen ihrer Inzesterfahrung weniger schwerwiegend. Sie hat sich zwar nicht daran gewöhnt, da bin ich sicher, aber es war wohl weniger schwer für sie als beim ersten oder zweiten Mal, als sie dies durchgemacht hat, da muß ich Ihnen rechtgeben.«
Wie der Blitz war ich aufgesprungen. »Ich erhebe Einspruch -«
»Augenblick, Miss Cooper. Sie hatten ausreichend Gelegenheit dazu. Setzen Sie sich. Ich werde den Verteidiger ausreden lassen, es ist sein gutes Recht, seinen Standpunkt zu vertreten.«
»Mein Klient bestreitet noch immer seine Schuld, Euer Ehren. Abschließend möchte ich Sie nur bitten, all diese Dinge bei der Verurteilung meines Klienten in Betracht zu ziehen. Er hat sich bisher keiner einschlägigen Straftaten schuldig gemacht, und ich möchte -«
»Einspruch. Richter Hadleigh, Mr. Cerone ist zwar nicht wegen irgendwelcher Kapitalverbrechen verurteilt worden, aber er hat ein Strafregister...«
»Miss Cooper, das liegt mir alles vor, wie Sie wissen, im Urteilsvorlageprotokoll. Lassen Sie uns bitte eine gewisse Ordnung bewahren. Es gibt hier keine Jury, vor der Sie agieren können - ich kenne das Strafregister.«
»Daher bitte ich, Euer Ehren, im Namen meines Klienten in diesem Fall um die Mindeststrafe - zwei bis sechs Jahre.« Der Ehrenwerte Horace Hadleigh - wir von der Staatsanwaltschaft nannten ihn alle Horrid, Horace den Schrecklichen, was entweder die Folge davon oder die Ursache dafür war, daß er in den über 38 Jahren, in denen er am Richtertisch gesessen hatte, den Anwälten der Verteidigung generell genau das gewährt hatte, was sie beantragt hatten -, der Richter also schickte sich an, seine Ansicht über den Fall Cerone kundzutun.
Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich im voraus Anmerkungen zu dem Fall zu notieren - das hätte Zeit und Intelligenz erfordert, zwei Faktoren, über die er nur in begrenztem Maße verfügte. Also schwafelte er über den Prozeß und die pathetische junge Frau daher, die in seinem Gerichtssaal ausgesagt hatte.
Nach fünf Minuten war klar, daß er sich den Standpunkt der Verteidigung mit Haut und Haar zu eigen gemacht hatte. »Ganz offen gesagt kann ich nicht erkennen, was die Staatsgewalt dabei gewinnt, wenn sie diese Vergewaltigung als brutal und gewalttätig bezeichnet.«
Ich konnte einfach nicht mehr am Tisch stillsitzen. Falls es mir gelang, zu Wort zu kommen, dann mußte es schnell gehen. »Euer Ehren, das Strafrecht dieses Staates definiert Vergewaltigung als >gewalttätiges Kapitalverbrechen<. Natürlich kam es in dieser Situation zu Gewalt - es war eine physische Nötigung durch einen Mann, der die Beteiligte gegen ihren Willen überwältigte.«
»Miss Cooper, stellen Sie sich nicht hin und halten mir Vorträge über das Strafrecht. Es gibt solche und solche Vergewaltigungen. Er hat sie doch nicht in kleine Stücke zerhackt, oder? Er hat ihr doch sonst keine Verletzungen zugefügt, nicht wahr?«
»Gott sei Dank nicht, Euer Ehren. Das verlangt das Gesetz auch gar nicht. Das wäre ein eigenes Verbrechen, wie Sie wissen. In der überwältigenden Zahl der Vergewaltigungsfälle kommt es zu keiner äußeren körperlichen Verletzung. Sie mußte nicht auch noch irgendeine Verletzung erleiden. Sie wurde vergewaltigt und zum Analverkehr gezwungen - das reicht als Trauma aus.«
»Junge Dame, Sie verlieren nicht nur Ihr Unterscheidungsvermögen, auch Ihr Temperament geht mit Ihnen durch. Sie können einfach nicht zwischen einzelnen Fällen unterscheiden, und das ist für eine Staatsanwältin fatal.«
Ich holte tief Luft und wechselte meinen Tonfall. »Es tut mir leid, Euer Ehren, aber ich muß Ihnen widersprechen. Ich erlebe jedes Jahr drei-, vierhundert Vergewaltigungsprozesse und habe die Aufsicht über mehrere hundert andere - mehr als jeder andere Staatsanwalt in diesem Land, Richter Hadleigh. Ich bin mir durchaus der faktischen Unterschiede bewußt, der Nuancen, der
Differenzierungen in allen
Weitere Kostenlose Bücher