Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)
Zentimeter davon entfernt, unter seinen blutigen Klauen zu sterben. Seine Augen waren gespenstisch blau gewesen, bleich wie der Himmel über den Bergen.
Irgendwann war Mason dazu übergangen, sie im Arm zu halten, statt sie nur zu stützen. Im Dunkeln seinem Herzschlag zu lauschen bot einen gewissen Trost. Jenna sog ihn ein, Stück für Stück, bis sie endlich wieder klar denken konnte, sich aufsetzte und verwirrt darüber war, dass sich ihr nichts zeigte, als sie die Augen öffnete. Mason war das einzig Wirkliche, das sie finden konnte.
»Kannst du sie hören?«, fragte er.
Sie unterdrückte ein schiefes Lächeln. Natürlich fragte er sie nicht, ob alles in Ordnung war und sie sich besser fühlte. Nein, es ging gleich wieder ums Wesentliche. Vielleicht war das eine Art unterschwelliges Kompliment, ein Beweis dafür, dass er auf ihre Widerstandskraft vertraute.
Sie saß ruhig da und lauschte, bis ein fürchterliches Heulen über sie hereinbrach. Dämonenhunde winselten gemeinsam ihren Hunger heraus und ließen einen reißenden Schauer durch ihre Muskeln laufen.
»Ja, ich kann sie hören.« Sie rieb die Hände aneinander und wurde sich des kalten Zementbodens wieder bewusst. »Wie ein Klagelied für die Sterbenden.«
»Wenn sie kein Futter und keine Wärme finden, schrumpft ihr Rudel zusammen. Darauf hatte ich gezählt.«
Der Winter wird uns das Leben im kommenden Frühjahr sehr erleichtern. Ja, ich weiß.
Jenna ertastete Masons Hand – die, in der er die Taschenlampe hielt – und drehte sie zur Wand herum, aus der noch immer Wasser hervorquoll. »Aber das hier können sie doch nicht bewirkt haben, oder?«
»Die Dichtung ist einfach gerissen. Wir werden ja sehen, ob Chris noch eine hat.« Er beobachtete das Spiel des Lichts, während seine Hand reglos in ihrer lag. »Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wozu diese Viecher in der Lage sind. Ich weiß aber, dass sie lernfähig sind. Sie passen ihre Taktik an das Verhalten ihrer Beute an.«
Krokodile taten das auch, wie sie sich erinnerte. Mehr als erschöpft kniff Jenna die Augen zu. Sie kämpften nun schon so lange, und bis auf das Privileg, einen weiteren Tag überlebt zu haben, hatten sie verdammt wenig damit erreicht. Vielleicht war Lebensqualität wichtiger als die Länge eines Lebens.
»Denkst du manchmal, dass sich die Mühe gar nicht lohnt?«, flüsterte sie.
Mason legte ihr eine Hand an die Wange. Inmitten all dieser Kälte schockierte seine Hitze sie. Er strahlte Energie und Entschlossenheit aus.
»Ich weiß nicht, wie man aufgibt«, sagte er. »Wenn ich es wüsste, hätte ich es längst getan, lange bevor ich dir begegnet bin. Ich bin kein Mann, der jemals die Waffen streckt, Jenna.« Er hielt inne, und seine Zähne blitzten im fast völligen Dunkel weiß auf. »Außer vielleicht vor dir.«
Bei jedem anderen hätte sie das als einfachen Flirtversuch gewertet, aber an Mason war nichts einfach, und seine Worte gestatteten ihr einen Blick ins Labyrinth seiner Seele. Versprechen und Vertrauen waren in diesen Worten miteinander verzwirnt, dazu die Andeutung einer Weichheit, die nichts mit Kapitulation zu tun hatte.
Jenna ergriff im Gegenzug seine Hand und lächelte. »Ich schätze, ich gehöre auch nicht zu denen, die sich schnell ergeben.«
»Was für eine Schande«, murmelte er.
Ein Schauer roher Lust brandete über sie hinweg. Er beugte sich zu ihr, berührte ihre Stirn mit seiner – intimerer Moment, als eine Stunde in den Armen irgendeines anderen es gewesen wäre. Beinahe sofort zog er sich zurück, aber sie fühlte sich an die Art erinnert, wie er sie geküsst hatte. Ihr Herz schlug wild.
»Um Gottes willen, sieh mich nicht so an, wenn wir Arbeit vor uns haben!«
»Wie denn?« Die Frage klang heiser, nicht so launig, wie sie es eigentlich beabsichtigt hatte.
»Als ob du mich gleich hier auf dem Boden flachlegen wolltest.«
Verdammt, er hatte nicht unrecht. Bei dem Versuch, Mason eine Lektion zu erteilen, hatte sie sich zugleich selbst einen Streich gespielt. Ihr Fleisch fühlte sich zu groß für ihre Haut an, als ob sie in jedem Quadratzentimeter eine Million Nerven zusätzlich hätte. Mason war eine Art Droge: Je mehr sie von ihm bekam, desto mehr wollte sie. Jenna rief sich selbst zur Ordnung, aber sie brauchte eine ganze Minute, bis sie sich wieder auf die anstehende Aufgabe konzentrieren konnte.
»Lässt sich das hier reparieren?« Sie richtete die Taschenlampe zwischen die leckenden Schläuche. »Ich meine ja nur … Wir
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