Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)
Geschichte, die er nicht noch einmal geschehen lassen konnte.
»Und dann würdest du ihn zurücklassen, einfach nicht zurückkehren?«
Er zog den Kompass erneut aus der Tasche und änderte ihre Laufrichtung leicht. Die Sonne stand tief am Horizont. Bald würde die Dunkelheit ihr Vorankommen behindern oder ganz unmöglich machen. Der Schnee würde weiterhin fallen. Und die Bestien jagten nachts.
Aber wenn er sich richtig orientiert hatte, würden sie Wabaugh jeden Augenblick erreichen. Wider besseres Wissen malte er sich aus, dass sie bald in der Lage sein würden, Lichter zu sehen. Einladende Lichter. Keine Chance.
»Es war nur so ein Gedanke«, sagte er und nahm ihre Hand wieder. »Einer, der dir noch nicht einmal in den Sinn gekommen ist.«
»Bin ich deshalb ein Schwächling? Bekomme ich dieses Jahr keinen Preis fürs Überleben der Stärkeren?«
»Nein, das hast du schon bewiesen, als du die Hüttentür überhaupt geöffnet hast.«
»Machst du mir das immer noch zum Vorwurf?« Ihr Ton wurde härter.
Er blieb stehen. Sie wirbelte zu ihm zurück, da ihre Hände noch immer verschränkt waren. Er ließ sie los, aber nicht aus dem Grund, den sie wahrscheinlich dahinter vermutete.
»Nein.« Mason umschloss ihr Gesicht mit den Handflächen. »Ich bewundere dich dafür. Für alles. Die Art, wie du um ihretwillen gegen mich gekämpft hast, wie du sie vor dem Wahnsinn bewahrt hast und wie sich für dich noch nicht einmal die Frage stellt, ob du zurückkehren sollst. Du wirst es einfach tun.«
»Du auch.«
Ein tiefes Seufzen entrang sich seinem Körper. Er war in jeder nur denkbaren Hinsicht erschöpft. »Du glaubst nicht daran.«
Sie senkte den Blick. Ihre Zweifel hätten ihn nicht stören sollen, aber sie trafen ihn tief.
»Ich brauche dich schon die ganze Zeit, und jetzt weißt du, warum«, sagte er. »Ich weiß, wie man kämpft, aber das ist nicht das Gleiche, wie etwas aufzubauen. Das kannst du . Gib mich nicht auf.«
Bitte.
Der Wald knurrte ringsum.
Jenna zuckte zusammen. »Hast du …«
»Psst.« Ganz gleich, wie schnell sein Blick über die Bäume huschte, er konnte die Schatten nicht verbannen. Immer versteckte sich etwas, wartete, lauerte. Die Nackenhaare stellten sich ihm auf.
Jenna?
Ja?
Lauf.
27
Jenna rannte, als ginge es um ihr Leben. Nach dem näher kommenden Knurren zu urteilen ging es auch darum.
Zweige peitschten ihr ins Gesicht, als Mason sie mit sich zog. Bisher hatten sie sich an etwas gehalten, das wie ein Trampelpfad gewirkt hatte, dem vielleicht ein Jäger gefolgt wäre. Jetzt zerrte er sie mitten durchs Unterholz, geradewegs nach Westen. Seine Eile entfachte Feuer in ihren Adern.
Kaum noch Energie, kurz vor Einbruch der Nacht. Sie konnten sich nicht zum Kampf stellen, sonst würde allein schon die Überzahl ihnen zum Verhängnis werden. In der Ferne heulten die Bestien erneut. Sie konnte die Botschaft beinahe verstehen: Kommt her! Wir haben Beute gefunden.
Entschlossen mitzuhalten vergrößerte Jenna ihre Schritte. Sie stolperte über Totholz, das sich im Laufe der jüngsten Stürme angesammelt hatte, fing sich mit den Händen ab und kämpfte sich weiter voran. Mason blieb lange genug stehen, um die Hand auszustrecken und sie mitzuziehen. Die Mischung aus Erschöpfung, Furcht und Kälte ließ ihn genauso schwer atmen wie sie.
Ein explosionsartiger Schock durchfuhr sie, als sie zwischen den Bäumen hervorbrachen und einen Abhang hinunterstürzten. Mason fing sich und rutschte mehr oder minder hinunter, aber Jenna schoss kopfüber hinab und purzelte durch den Schnee. Mason riss sie auf die Beine und musterte sie kurz. Er verschwendete keinen Atem aufs Reden, und sie verstand, warum. Sie hatten das Rudel nicht abgehängt. Die Bestien holten auf.
Jenna erspähte in der Ferne Gebäude. Das Zwielicht und die länger werdenden Schatten erschwerten es abzuschätzen, wie weit es noch war. Sie raffte sich zu einer letzten Kraftanstrengung auf, setzte sich schwungvoll in Bewegung und ignorierte Schmerz und Unbehagen genauso wie längst taub gewordene Körperteile.
Sie rannten knapp hundert Meter, bevor sie bemerkte, dass der Boden sich bei jedem Auftreffen ihrer Füße etwas anders anfühlte. Unter dem Schnee lag eine Straße, Asphalt, auf dem Autos fuhren oder zumindest früher einmal gefahren waren. In diesem Winter waren keine Schneepflüge zum Einsatz gekommen.
Das Heulen wurde schriller. Beeilt euch, sie entkommen.
»Oh ja, das tun wir«, murmelte sie.
»Jenna?« Er warf einen
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