Die letzte Delikatesse
Bissen, der in mir ein solch beglückendes Gefühl ausgelöst hatte, war Lachs, aber ich sollte noch den Goldbutt, die Jakobsmuschel und den Tintenfisch kennenlernen. Der Lachs ist fett und süß trotz seiner eigentlichen Magerkeit, der Tintenfisch streng und rigoros, zäh sein geheimes Netz von Fasern, die erst nach langem Widerstand unter den Zähnen reißen. Bevor ich es in den Mund nahm, betrachtete ich das merkwürdige gezahnte Stück, das von Rosa und Mauve durchzogen, an den Spitzen seiner gezackten Auswüchse jedoch fast schwarz war, packte es linkisch mit meinen ungeübten Eßstäbchen, empfing es dann auf der Zunge, die überrascht war über eine solche Dichte, und erschauerte vor Genuß. Zwischen den beiden, zwischen dem Lachs und dem Tintenfisch, die ganze Palette der Geschmacksempfindungen, aber immer noch dieses dichte Fließen, das den Himmel auf die Zunge zaubert und jedes Getränk, sei es Wasser, Kirin oder warmer Sake, überflüssig macht. Die Jakobsmuschel löst sich auf, kaum ist sie da, so leicht, so schmelzend ist sie, doch lange nachher noch erinnert sich der Gaumen an die innige Berührung; der Goldbutt schließlich, der zu Unrecht als der rustikalste von allen gilt, ist eine zitronenduftende Delikatesse, deren außergewöhnliche Beschaffenheit sich unter den Zähnen mit verblüffender Vollendung behauptet.
Das ist das Sashimi – ein dem Herzen zugängliches Stückchen Kosmos, doch ach so weit entfernt von jenem Duft oder Geschmack, der sich meinem Scharfblick entzieht oder meiner Unmenschlichkeit vielleicht … Ich habe geglaubt, die Erinnerung an dieses subtile Erlebnis, an diese rohe Speise, die so wenig mit der Barbarei der Tierverschlinger gemein hat, würde den Duft von Authentizität verströmen, der meine Erinnerung inspiriert, jene unbekannte Erinnerung, die ich verzweifelt zu fassen versuche … Krustentiere, schon wieder, immer noch: Vielleicht ist es nicht das Richtige?
Chabrot
Rue de Bourgogne, Arztpraxis
Drei mögliche Wege.
Ein asymptotischer Weg: Hungerlohn, grüner Kittel, lange Bereitschaftsdienste als Assistenzarzt, eine wahrscheinliche Karriere, der Weg der Macht, der Weg der Ehren. Professor der Kardiologie. Das öffentliche Krankenhaus, Aufopferung für die Sache, Liebe zur Wissenschaft: genau das, was es an Ehrgeiz, an Köpfchen und an Kompetenz braucht. Ich war bereit dafür.
Ein Mittelweg: der Alltag. Geld, viel Geld. Eine noble, düstere Patientenschar, depressive Bürgersfrauen, aufwendige alte Reiche, begüterte Rauschgiftsüchtige, Anginen, Grippen, andauernde und unergründliche Langeweile. Der Montblanc, den mir meine Frau jeweils zum 25. Dezember schenkt, gleitet über das Weiß des Rezeptes. Ich hebe den Kopf, setze im richtigen Moment ein Lächeln auf, ein bißchen Trost, ein bißchen Höflichkeitsbezeigungen, viel falsche Menschlichkeit, und erteile Madame Derville, der Gattin des Präsidenten der Anwaltskammer, für gutes Geld die Absolution von ihren Ängsten einer unheilbaren Hysterikerin.
Ein tangentialer Weg: die Seelen behandeln, nicht die Körper. Journalist, Schriftsteller, Maler, Graue Eminenz, hochwürdiger Akademiker, Archäologe? Irgend etwas, nur nicht die Paneelen meiner mondänen Arztpraxis, nur nicht die berühmte und luxuriöse Anonymität meiner Aufgabe als Heilender, in meiner Nobelstraße, in meinem Ministersessel …
Selbstverständlich: der Mittelweg. Und endlos sich in die Länge ziehende Jahre quälender Unzufriedenheit, inneren Aufruhrs, mal nagend, mal bissig, mal unterschwellig – aber immer gegenwärtig.
Gleich bei seinem ersten Besuch sah ich meine Rettung. Was ich, zu sehr von meinem Bürgerblut verdorben, um auf mein Bürgertum zu verzichten, nicht sein konnte, machte er mir zum Geschenk allein durch sein stillschweigendes Einverständnis, mein Patient zu sein, durch das bloße regelmäßige Aufsuchen meines Wartezimmers, durch seine banale Gefügigkeit als Patient ohne Geschichten. Später machte er mir großmütig ein anderes Präsent: seine Unterhaltung; Welten taten sich vor mir auf, deren Existenz ich bisher nicht einmal geahnt hatte, und was meine innere Flamme schon immer so glühend begehrt hatte, und was je zu erringen sie nicht mehr zu hoffen wagte, erlebte ich dank ihm, durch ihn.
Durch jemand anderen leben: Chefköche lancieren, ihr Totengräber sein, aus der Schlemmerei Wörter herausschälen, Sätze, Sprachsymphonien, und die überwältigende Schönheit der Gerichte freilegen; ein Meister
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