Die letzte Delikatesse
seines Rüssels das Auto ramponiert und auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Sie lachen wie kleine Jungen.
Die »Reste« (man könnte damit ein Regiment ernähren) einer Poularde. Jede Menge Sahne und Speckstückchen, eine Prise schwarzer Pfeffer, Kartoffeln, die, wie ich errate, aus Noirmoutier kommen – und kein Gramm Fett.
Das Gespräch ist vom ursprünglichen Thema abgekommen und folgt den verschlungenen Mäandern der einheimischen Alkoholsorten. Die guten, die weniger guten, die entschieden ungenießbaren; die unerlaubten Tropfen, die zu stark vergorenen Cidres aus faulen, schlecht gewaschenen, schlecht zerstampften, schlecht aufgelesenen Äpfeln, die Calvados vom Supermarkt, die eher nach Sirup schmecken, und dann auch die echten Calvados, die brennen wie der Teufel, aber im Gaumen ihr Aroma hinterlassen. Der Tropfen eines famosen Père Joseph löst schallendes Gelächter aus: ein Desinfektionsmittel, ja, aber bestimmt kein Verdauungstrank!
»Es ist zu dumm«, sagt die junge Frau, die nicht mit dem gleichen Akzent spricht wie ihr Mann, »ich habe keinen Käse mehr, ich muß heute nachmittag einkaufen gehen.«
Ich erfahre, daß der Hund von Thierry Coulard, ein gutes Tier, das für seine Enthaltsamkeit bekannt ist, sich eines Tages dazu hinreißen ließ, eine kleine Pfütze unter dem Faß aufzulecken, worauf er, sei es aus Verzückung, sei es aufgrund der Alkoholvergiftung, auf der Stelle stocksteif zu Boden fiel und den Klauen des Todes nur dank einer außergewöhnlichen Konstitution entronnen ist. Sie halten sich die Seiten vor Lachen, ich komme nur mühsam wieder zu Atem.
Ein Apfelkuchen, feiner, mürber, knuspriger Teig, goldbraune Früchte, anmaßend unter dem diskreten Karamel der Zuckerkristalle. Ich trinke die Flasche aus. Um fünf Uhr bringt sie mir den Kaffee mit dem Calvados. Die Männer stehen auf, klopfen mir auf den Rücken, sagen, sie gehen jetzt zur Arbeit, und wenn ich heute abend da sei, würden sie sich freuen. Ich umarme sie wie Brüder und verspreche, eines Tages mit einer guten Flasche wiederzukommen.
Unter dem uralten Baum des Bauernhofs von Colleville, in Begleitung von Wildschweinen, die, ganz zum Ergötzen der Männer, die später davon erzählen, in den Koffern rummeln, habe ich eine meiner schönsten Mahlzeiten erlebt. Das Essen war einfach und köstlich, aber was ich da so genußvoll verschlang, daß Austern, Schinken, Spargeln und Poularde nachgerade zu Beilagen degradiert wurden, war ihre urwüchsige Sprache, die grob war in ihrer nachlässigen Syntax, aber herzerfrischend in ihrer jugendlichen Authentizität. Ich habe mich an den Worten gütlich getan, ja, an den Worten, die bei dieser brüderlichen Bauernrunde nur so hervorsprudelten, die Art Worte, die bisweilen die fleischlichen Genüsse an Köstlichkeit noch übertreffen. Worte: Schatullen, die eine einsame Wirklichkeit auffangen und sie in einen Moment der Blütenlese verwandeln, Zauberer, die das Gesicht der Wirklichkeit verändern und verschönern, weil sie ihr das Recht einräumen, denkwürdig zu werden und in der Bibliothek der Erinnerungen ihren Platz einzunehmen. Leben wird erst zu Leben durch die Osmose des Wortes und des Geschehens, in der das erste das zweite in sein Prunkkleid hüllt. So hatten die Worte meiner Zufallsfreunde, indem sie die Mahlzeit mit dem Nimbus einer ganz neuen Grazie umgaben, fast gegen meinen Willen die Substanz meines Festmahls ausgemacht, und was ich mit soviel Heiterkeit gewürdigt hatte, war das Wort und nicht das Fleisch.
Ein gedämpftes Geräusch reißt mich aus meiner Träumerei, mein Ohr hat sich nicht getäuscht. Durch die halbgeschlossenen Lider erkenne ich Anna, die unauffällig durch den Flur gleitet. Diese Fähigkeit meiner Frau, sich fortzubewegen, ohne zu gehen, ohne ihr Vorankommen durch den üblichen Bruch der Schritte zu beeinträchtigen, hat mich immer Vermuten lassen, dieses aristokratische Fließen sei allein für mich erschaffen worden. Anna … Wenn du wüßtest, in welche Glückseligkeit mich die Wiederentdeckung jenes flüchtigen Nachmittags versetzt, an dem ich zwischen Branntwein und Wald in vollen Zügen die Ewigkeit der Worte trank! Vielleicht liegt hier die Triebkraft meiner Berufung, zwischen Worten und Essen … Und immer noch flieht mich, schwindelerregend, der Geschmack … Meine Gedanken führen mich zu meinem Leben in der Provinz … ein großes Haus … Spaziergänge querfeldein … der Hund zwischen meinen Beinen, fröhlich und unschuldig
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