Die letzte Eskorte: Roman
man womöglich eine andere Einschätzung von ihm erwartete. »Wie sollte es auch anders sein? Die Vorgänge in dieser Welt unterliegen Kräften, die wir nur unvollständig wahrnehmen können. Toulon hätte vielleicht der Kern einer Rebellion sein können, die den gesamten Süden Frankreichs erfasst – was uns sehr zum Vorteil gereicht hätte. Es war nicht unmöglich, wenn auch unwahrscheinlich. Aber so hat es sich eben nicht entwickelt. Wir werden vermutlich nie ganz verstehen, warum es nicht so lief, wie wir es uns vorstellten. Korsika könnte eines Tages eine florierende und friedvolle Provinz des Britischen Empires sein, oder es macht gemeinsame Sache mit unseren Feinden trotz unserer besten Absichten.« Er hob seufzend die Hände. »Alles ist denkbar.«
»Ich werde mich nach besten Kräften bemühen, Korsika zu einem florierenden und friedvollen Land zu machen, und ich hoffe, dass die Korsen unserem eigenen Volk freundschaftlich verbunden sein werden.«
»Solange wir nicht versuchen, die Korsen in kleine Engländer zu verwandeln«, gab John Moore zu bedenken. »Diesen Fehler haben wir Briten zu oft gemacht.«
Sir Gilbert stimmte mit einem Nicken zu, obwohl er nichts sagte. »Kapitän Hayden, haben Sie sich heute mit Madame Bourdage unterhalten?«
Hayden bestätigte dies.
»Wie kommt es, dass Sie diese Sprache so perfekt beherrschen, denn, ich muss zugeben, dass ich noch keinem Engländer begegnet bin, der so gut Französisch spricht.«
»Meine Mutter ist Französin, Sir Gilbert. Als Kind verbrachte ich einige Jahre auf französischem Boden.«
»Es muss schwer für Sie sein, Kapitän, Krieg gegen das Volk Ihrer Mutter zu führen.«
»Ich bin Engländer, Sir Gilbert«, antwortete Hayden und war sich bewusst, dass andere am Tisch zuhörten. »Ich weiß, wo meine Loyalität liegt.«
Hayden fiel auf, dass einige Offiziere in Hörweite Blicke tauschten, ganz so als sprächen sie einen Code, der Außenstehenden wie Hayden unverständlich war.
Als das Dinner beendet war und sich die versammelten Offiziere und Gäste erhoben, sah Hayden, dass John Moore auf ihn wartete. Neben ihm stand ein weiterer Armeeoffizier, der sich rein äußerlich von Moore abhob, denn der Mann war dunkelhaarig und leicht untersetzt, aber nicht viel kleiner als Hayden oder Moore.
»Da sind Sie ja, Kapitän«, grüßte Moore ihn. »Darf ich Ihnen Major Kochler vorstellen? Kapitän Charles Hayden.«
Kochler erwiderte Haydens leichte Verbeugung mit einem kleinen, ungeduldigen Nicken. »Zu Diensten.«
»Da wir am Morgen alle gemeinsam nach Korsika aufbrechen, hielt ich es für angemessen, dass Sie sich kennenlernen.«
Kochler schloss sich diesen Worten mit einem Lächeln an, das gekünstelt, wenn nicht gar gequält wirkte, und schien mehr an den Offizieren interessiert zu sein, die dicht gedrängt die Kajüte verließen.
»Ich freue mich schon darauf, wenn ich im Rahmen meiner Möglichkeiten dazu beitragen kann, die Franzosen zu vertreiben«, antwortete Hayden und gab sich Mühe, die Situation für Moore zu retten, der gewiss nicht damit gerechnet hatte, dass sich sein Offizierskollege so unhöflich benehmen würde.
Als Kochler nichts sagte, ergriff Moore das Wort. »Ich denke, dass wir in diesem Punkt alle einer Meinung sind, Kapitän.« Er warf einen Seitenblick auf Kochler, der mit seiner Aufmerksamkeit woanders zu sein schien. »Bis morgen dann.«
Hayden schloss sich dem Strom der Offiziere an, die nun die Offiziersmesse durchquerten und über die Leiter in die Winternacht stiegen. Die Männer der Navy standen blau gewandet in kleinen Gruppen zusammen und plauderten freundlich miteinander, während sich die Armeeoffiziere in ihren roten Röcken in einer Ecke auf dem Vordeck zusammenfanden, wo man ihre gedämpfte Unterhaltung nicht belauschen konnte.
Barkassen legten längsseits an, um die Admiräle und die Kapitäne zu den jeweiligen Schiffen zu bringen. Da Hayden nur Master and Commander war, würde sein Beiboot zuletzt anlegen, daher lehnte er sich gegen die Reling und genoss die milde Winterluft.
»Ah, Kapitän Hayden ...« Sir Gilbert trat in den Schein der Laterne. »Ich fürchtete schon, Sie wären längst fort. Dürfte ich Sie kurz sprechen?«
»Gewiss, Sir.«
Elliot bedeutete Hayden, ihm ein paar Schritte über das Deck zu folgen. Sowie sie eine ruhige Ecke gefunden hatten, sprach der Gentleman so leise, dass Hayden Mühe hatte, die Worte zu verstehen.
»Sie hatten ja heute das Glück, Madame Bourdage und ihrer
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