Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Tage dort noch unerträglicher zu machen, in denen ich auf Nachrichten von Warda wartete – Nachrichten, auf die ich um jeden Preis warten wollte. Sie hatte mir gesagt, wir würden uns dort sehen, aber in ihren Worten war stillschweigend miteingeschlossen, dass das davon abhänge, was bei ihrer Rückkehr in den Libanon geschehe. Als ich mir alle ihre Worte und Gesten wieder ins Gedächtnis rief, sie Punkt für Punkt rekonstruierte, erschien mir dieses Treffen in Recife als offensichtliche Illusion, als Trost, den sie sich ausgedacht hatte, um unserem Abschied in Kingston nicht die Dramatik eines endgültigen Lebewohls zu geben. Ich wusste nicht mehr recht, was ich von alldem halten sollte; was das Ergebnis meiner Einbildung war, die sich nur auf meine eigenen Träume stützte, und was wirklich geschah. Immer wieder suchte ich die Hotels auf, in denen Warda hätte abgestiegen sein können. So wurde ich für Barkeeper und Rezeptionsangestellte allmählich eine sonderbare, ja verdächtige Person. Wenn sie mich eintreten sahen, schüttelten sie mit einem Lächeln den Kopf, in dem sich immer deutlicher das Mitleid spiegelte, gemischt mit einem leichten Unwillen, wie ihn Verrückte und Geistesgestörte hervorrufen. Am Schluss hasste ich die Stadt und gab ihr an allem die Schuld. Die Hitze wurde unerträglich, und ich unterließ es, mir eine neue Arbeit zu suchen, die ich einigermaßen dringend benötigte, da meine Mittel langsam aufgebraucht waren. Die Versicherung würde erst in einem Jahr, nach einer minuziösen Untersuchung über den Schiffbruch des Tramp Steamer, ganz ausbezahlt werden.
Endlich sagte man mir auf dem Postamt, es sei etwas für mich da. Es war ein langer Brief meiner Freundin, den ich Ihnen nicht vorlesen werde. Es steht nichts drin, worüber Sie und ich nicht schon gesprochen hätten. Nur – ihn laut zu lesen, bei dem natürlichen Fluss ihrer Schreibweise, das wäre ein bisschen, als hörte man ihr direkt zu. Ich würde es nicht ertragen. Aber ich kann ihn ganz leicht resümieren. Warda beschreibt ihre Ankunft im Libanon und wie sie sich sogleich ins gesellschaftliche und familiäre Milieu eingegliedert habe. Ihre europäischen und andern Träume seien auf der Stelle verflogen und hätten jede Berechtigung und Beständigkeit verloren. Zurück geblieben seien die Gefühle, die sie an mich bänden. Diese seien unverändert, aber es gebe keine Grundlage, auf ihnen etwas aufzubauen, etwas zu erwarten, außer einer schmerzhaften Erfahrung, die aus unserer Beziehung ein Wirrwarr von unausgesprochenen Forderungen, von Schuldgefühlen und verkappten Frustrationen machen würde. Kurzum, das, was passiert, wenn man von einer Verzerrung der Wirklichkeit ausgeht und die eigenen Wünsche als unumstößliche Wahrheiten nimmt. Sie würde nicht nach Recife kommen und wolle mich auch anderswo nicht mehr sehen. Es schmerze sie schrecklich, dass der Schiffbruch des Tramp Steamer sie in ihrem Entschluss, auf dem Festland zu bleiben und sich den Gesetzen und Gepflogenheiten ihrer Leute zu fügen, gleichsam zuvorgekommen sei. Es könne den Anschein machen, als hätten sich Abduls Worte erfüllt. So sei es aber nicht, und ich möge das auch nicht glauben. Das Schiff, sie müsse es gestehen, sei in einem Zustand gewesen, in dem es jeden Moment hatte untergehen können. Es sei schon fast ein Wunder, dass es sich bei der Erfüllung einer seine Kräfte so übersteigenden Aufgabe so lange habe halten können. Dann folgten einige Betrachtungen zu meiner Person und den Tugenden und Eigenschaften, die Warda in ihr sah und die sie in der Erinnerung an die gemeinsam verbrachten schönen Tage und in der wehmütigen Gewissheit, dass wir uns nie wieder treffen würden, offensichtlich verklärte. Ich bin nie ein Mann gewesen, der bei Frauen viel Erfolg hatte. Vermutlich langweile ich Sie ein wenig. Was sie in mir sah, ist vielleicht eine gewisse Ordnung, eine Distanz, die ich einschalte, um mich vor den Menschen und ihren Albernheiten zu schützen, und die für Warda überaus nützlich gewesen waren, damit sie ihre europäisierenden Fantasien verscheuchen konnte. Ich lehrte sie, dass die Menschen auf der ganzen Welt gleich sind und von denselben niedrigen Leidenschaften und gemeinen Interessen angetrieben werden – überall in gleicher Weise oberflächlich und ähnlich. Bei dieser wohl begründeten Überzeugung war ihre Rückkehr in ihre Welt leicht vorherzusagen und bewies eine Reife, wie sie bei einer Frau unserer Tage sehr selten
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