Die letzte Flucht
»Glück gehabt. Sie können gehen.«
»Warum?«
Der Mann zuckte mit der Schulter.
Dengler erhielt sein Handy zurück, seinen Gürtel, seine Schnürsenkel und den Rest der verbliebenen sechshundert Euro, die eigentlich Marta gehörten. Er unterschrieb die Empfangsbestätigung.
Er schaltete das Telefon an und rief Olga an.
»Ich bin gerade gelandet«, sagte sie.
Eine Stunde später schlossen sie sich in die Arme.
»Zum ersten Mal, seit wir uns zuletzt gesehen haben, bin ichohne Überwachung durch die Polizei«, sagte sie und sah sich um.
Sie saßen in einem Café und erzählten sich, was sie in den letzten Wochen erlebt hatten.
»Rüdiger Voss hat seinen Bruder abgeholt. Wir müssten herausfinden, ob er gesehen hat, wie sich jemand an dem Müll zu schaffen machte. Oder einfach nur vor dem Haus der Biggi Bergengruen stand. Wie auch immer.«
»Gut möglich«, sagte Olga.
»Wir fragen ihn.«
Dengler wählte.
»Seine Sekretärin sagt, er sei zu einer wichtigen Konferenz gerufen worden. Er ist in die Charité gefahren. Sie hat mir den Weg zum Konferenzraum beschrieben.«
Olga nickte. Dengler zahlte.
***
Schöttle lief im Laufschritt durch den Flur und stolperte fast, als er Finn Kommarecks Büro betrat.
»Die Rekonstruktion der Anrufe ergab: Voss, also Bernhard Voss, ruft seine Frau an. Er sagt ihr, dass er sich stellen und seinem Bruder Rüdiger Unterlagen übergeben will. Im Keller der Charité. Voss’ Frau ruft Rüdiger Voss an und sagt ihm genau das. Rüdiger Voss fährt daraufhin in die Charité, trifft dort aber nach eigener Aussage zu spät ein. Rüdiger Voss ist zum Zeitpunkt des Mordes an seinem Bruder Bernhard also nicht im Krankenhaus. Er ruft aber – jetzt kommt der springende Punkt – ein amerikanisches Handy an. Direkt nachdem die Frau von Bernhard Voss ihn angerufen hat. Das Handy gehört einem gewissen Jeffrey Beck, der in Berlin eine Sicherheitsfirma betreibt. Wir haben nur auf die Verbindungen von Rüdiger Voss zu seinem flüchtigen Bruder geachtet, seine weiteren Telefonate aber nicht beachtet. Beck war Mitarbeiter der ehemaligen amerikanischen Söldneragentur Blackwater. Er hat sich, wie viele andere auch, selbstständig gemacht. Auf seiner Homepage sind eine Reihe von Pharmafirmen als Kunden eingetragen. Allerdings auch andere Firmen.«
»Wir müssen ihn fragen.«
»Dringend.«
»Bring ihn her.«
***
Elf Männer und drei Frauen saßen um einen Konferenztisch in der Charité und schwiegen. Dengler öffnete die Tür.
Zwei der Männer kannte er. Professor Schulz, der Voss behandelt hatte, und Rüdiger Voss. Es herrschte eine gereizte Stimmung in dem Zimmer. Einige der Männer blätterten in Akten, andere unterhielten sich leise, zwei telefonierten.
»Sind Sie von der Polizei? Wir können hier nicht ewig warten. Wir müssen zurück in …«.
»Ich bin nicht von der Polizei«, sagte Dengler.
Rüdiger Voss war aufgesprungen und starrte Dengler an.
Schulz dagegen schien ihn nicht zu erkennen.
Voss kam drohend auf Dengler zu.
»Ich habe Ihrem Bruder nichts getan«, sagte Dengler. »Die Polizei hat mich freigelassen. Ich war es nicht.«
»Was wollen Sie hier?«
»Ich möchte Sie etwas fragen. Ich habe herausgefunden, dass Ihr Bruder ein kurzes Verhältnis mit seiner Sekretärin hatte, mit Frau Bergengruen. An dem Abend, als das Mädchen umgebracht wurde, hat er sie besucht. Er trug selbst den Mülleimer mit einem gebrauchten Kondom nach unten in den Container. Jemand muss das gewusst und das Kondom an sich genommen haben. Ich nehme an, dass Jasmin so lange gefangen gehalten wurde, bis der Täter endlich über das Sperma Ihres Bruders verfügen konnte.«
»Kommen Sie mit nach draußen«, sagte Voss leise. »Das brauchen meine Kollegen nicht zu hören.«
»Ich warte hier«, sagte Olga.
Er öffnete eine Tür, und sie traten in einen weiteren Konferenzraum. Voss führte ihn in den angrenzenden Raum, in ein Labor mit einem Schreibtisch und elektronischen Geräten. Auf dem Tisch standen Flaschen und Gefäße mit farbigen Flüssigkeiten. Voss starrte zum Fenster hinaus.
»Das ist ja eine ziemlich verschrobene Geschichte«, sagte er.
»Sie haben Ihren Bruder an diesem Tag abgeholt. Denken Sie nach! Fiel Ihnen irgendetwas auf? Haben Sie jemanden gesehen, der sich an dem Müllcontainer in der Immanuelkirchstraße zu schaffen machte? Jemand, der dort herumstand und wartete? Irgendetwas? Irgendetwas Besonderes?«
Voss dreht sich langsam um.
»Wer sollte denn so etwas
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