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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Station 148, Station 144.
    Da war er jetzt. Er lief los.
    Nach oben ging es zum 4. Stock: Station 149. Dann 5. Stock: Labore Infektiologie, Onkologie, Hämatologie. Beim 6. Stock stand keine Bezeichnung.
    Die grün leuchtende Anzeige über der silbernen Aluminiumtür zeigte an, dass sich die Aufzugkabine im fünften Stock befand. Dann war Voss vielleicht dort. Dengler rannte zwei Schritte auf die Kabinentür zu, stolperte, stieß einen Schrei aus, als der Schmerz im Knie explodierte. Vorsichtigging er zum Aufzug und drückte die Taste mit dem Pfeil nach oben an der Wand.
    Dengler hörte, wie sich der Aufzug in Bewegung setzte. Die grüne Anzeige wechselte von fünf auf vier, und wenige Sekunden später öffnete sich die Tür. Dengler stieg ein und drückte auf »5. Stock«. Die Tür schloss sich, der Aufzug fuhr nach oben.
    ***
    Bernhard Voss riss die Tür zum Büro seiner Sekretärin auf. Es war leer. Der Bildschirm flackerte. Eine Tasse Tee stand auf ihrem Schreibtisch. Voss hastete durch die Durchgangstür in sein Büro. Er riss die oberste Schublade seines Schreibtischs auf. Sie war fast leer. Zwei einsame rote Büroklammern und die Mine eines Kugelschreibers lagen da. Mehr nicht. Er durchwühlte alle Schubladen und fand nicht, was er suchte. Die Polizei hatte ganze Arbeit geleistet. Dann ging er zu dem großen Aktenschrank und zog die oberste Lade heraus. Immerhin: Sie hatten nicht die Akten mitgenommen. In Windeseile durchsuchte er die Ordner, nahm zwei heraus. Er suchte weiter. Die dritte Akte fehlte.
    Vielleicht hatte er sie übersehen. In rasendem Tempo durchsuchte er den Schrank mit den Hängemappen.
    Seine Finger zitterten.
    Plötzlich hörte er ein Geräusch. Er schloss die Tür leise und eilte zurück ins Vorzimmer.
    ***
    Biggi Bergengruen kam von einem Schwatz mit der Frau Kallenbach von der Chirurgie zurück. Die Verwaltung hatte sie in die Infektiologie versetzen wollen, da sie nun angeblich nichts mehr zu tun hatte. Denen hatte sie die Meinung gegeigt. Der Schnösel aus der Personalabteilung, frisch vonder Uni und von nichts eine Ahnung, na, der würde sie künftig in Ruhe lassen.
    Sie wunderte sich, dass die Tür ihres Büros offen stand.
    »Komisch«, sagte sie, trat ein und fuhr sich mit der Hand vor den Mund.
    Ihr Chef, ihr früherer Chef stand hinter ihrem Schreibtisch und durchwühlte ihre Sachen.
    »Biggi«, sagte Bernhard Voss, »das Diensthandy. Wo ist das Diensthandy?«
    Sie wollte etwas sagen, aber sie war völlig erstarrt.
    »Das Handy, Biggi, wo ist das Handy?«
    Unfähig zu antworten, wies sie auf die unterste Schublade.
    Voss riss sie auf, nahm das Handy heraus und steckte es in die Hosentasche. Er nahm die beiden Akten und kam auf Biggi Bergengruen zu.
    »Biggi, hast du irgendetwas mit all dem zu tun? Sag es mir ehrlich.«
    Sie schüttelte den Kopf. Sprechen konnte sie immer noch nicht.
    Bernhard Voss nickte, kam auf sie zu und berührte sie am Oberarm.
    »Hast du Geld dabei?«
    Sie sprach ganz leise, als kostete es sie unendlich viel Kraft: »Nicht viel. Vielleicht achtzig Euro.«
    »Gib es mir. Du bekommst es bestimmt zurück.«
    Sie ging mit zaghaften Schritten auf einen Einbauschrank zu, öffnete ihn, zog ihren Geldbeutel aus der Handtasche und gab ihm drei Scheine und eine Handvoll Münzgeld.
    »Mehr hab ich nicht.«
    »Ich danke dir. Du bekommst es zurück.«
    Dann war er verschwunden.
    Die Sekretärin ging an ihren Schreibtisch. Sie setzte sich und stützte den Kopf mit beiden Händen ab. Tränen standen in ihren Augen. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg. Dann zog sie einen Taschenspiegel aus ihrer Handtascheund betrachtete ihr Gesicht, korrigierte den Lidstrich und wischte sorgfältig die verlaufene Wimperntusche ab.
    Dann griff sie zum Telefon und rief die Polizei.
    ***
    Bernhard Voss eilte schnellen Schrittes den Flur entlang. Alles in ihm drängte zu rennen, doch er zwang sich, nicht zu laufen. Er durfte nicht verdächtig wirken. Eine Doktorandin kam ihm entgegen, die er betreute: die Koreanerin mit diesem schwer zu merkenden Namen, sie war klein, er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber er erkannte sie von Weitem an ihrem wippenden Pferdeschwanz.
    Sie durfte ihn nicht sehen.
    Voss drückte die Klinke der nächstgelegenen Tür. Die Tür ließ sich öffnen: eine Abstellkammer, die Voss noch nie betreten hatte. Er schlüpfte hinein und verschloss die Tür sofort hinter sich. Er atmete tief ein, schloss die Augen und drückte die beiden roten Ordner gegen seine

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