Die letzte Flucht
ein amputierter Teil seines Körpers. Doch die Phantomschmerzen waren echt.
Vielleicht sollte er sich stellen?
Aber dann würde er Olga möglicherweise für viele Jahre nicht sehen.
Er war in einer Sackgasse gelandet.
In Martas schwarzer Handtasche waren einige Geschäftsunterlagen, ein Handy sowie sechshundert Euro Bargeld.
Was sollte er tun?
Er nahm ein Taxi und ließ sich in die Reinsburgstraße fahren. Schon von Weitem sah er den dunklen Wagen mit zwei Männern vor Marios Haus.
Er duckte sich in einen Hauseingang und wartete, bis es hell wurde.
***
Am Morgen die gleiche anstrengende Prozedur. Um Kontrollen zu entgehen, fuhr er mit der Straßenbahn nach Zuffenhausen, mit der S-Bahn nach Bietigheim, mit dem Zug nach Karlsruhe, bereits in Durlach stieg er aus, fuhr mit der Straßenbahn ins Zentrum. Bei einem türkischen Friseur ließ er sich die Haare schneiden und schwarz färben. Dessen Sohn, nicht älter als zwanzig, fegte seine Haare auf. Immerunterbrochen von Telefonaten, immer fluchend, mal auf Türkisch, mal in Englisch.
»Mein Sohn hat Problem. Ist Student in Hohenheim und verdient als Spüler in Restaurant seine Geld. Jetzt musse Arbeit schreiben und hat keine Zeit für Spülen. Andere Kollegen haben aber auch keine Zeit«, sagte der Friseur.
»Ich suche grad einen Job. Kann ich einspringen?«, fragte Dengler.
»Das würden Sie tun?«, fragte der junge Mann und stützte sich auf den Besen. »Acht Euro pro Stunde bekommen Sie. Ist nicht viel.«
»Ich mach’s.«
»Haben Sie Unterkunft? Nein? Sie können in meiner Bude wohnen, wenn Sie anteilig die Miete übernehmen.«
»Gut.«
»Super.« Er streckte die Hand aus, und Dengler schlug ein.
»Ich bin Tevfik, und jetzt ruf ich den Chef an.«
Nach einem Telefonat war alles klar. Um fünf Uhr am Nachmittag ging die Schicht los.
»Ich begleite Sie am ersten Tag und lerne Sie ein. Wie heißt du?«
»Georg.«
Dengler duschte im Europabad und schlief auf einer Liege ein. Dann machte er sich auf den Weg zurück nach Stuttgart.
***
Das hatte er nicht erwartet.
Seine künftige Arbeits- und Zufluchtsstätte lag neben dem Schloss Hohenheim in Stuttgart. Der Kavaliersbau, ein renoviertes Gebäude gleich daneben, war 1818 zur Mensa umgebaut worden und hatte den Namen »Speisemeisterei« erhalten. So heißt der Bau noch heute, aber mittlerweile kochte in seinen Mauern Frank Oehler, der der »Speisemeisterei«einen Michelin-Stern verschafft hatte. Dengler hatte ihn einmal im Fernsehen in einer Kochshow gesehen.
Vor dem Personaleingang auf der rechten Seite des Restaurants standen ein langer Tisch und ein völlig überfüllter Aschenbecher. An dem Tisch saßen drei rauchende Köche.
Um fünf Uhr am Nachmittag begann seine Schicht, um halb sechs schlug der Chef einen großen tibetanischen Gong, und die Mannschaft versammelte sich um den großen Tisch zum Abendessen.
»Jetzt geht’s los«, sagte Tevfik und wies auf den Geschirrberg.
»Das ist von der Frühschicht. Das Geschirr stammt von den Mittagessen. Es wird heute in ein paar Stunden wieder gebraucht.«
Eine so große Küche hatte er noch nie gesehen. In fünf Reihen standen Herde, daran arbeiteten achtzehn Köche.
Die Arbeit war hart. Sie hatten zwei Spülmaschinen zu bedienen. In der ersten wurden das Besteck, die Teller und Unterteller, die Tassen und Platten gesäubert. Zuerst wurde alles mit einem Wasserstrahl grob gereinigt, dann in eine mobile Halterung gestapelt, die Halterung in die Maschine geschoben, der grüne Knopf gedrückt – und drei Minuten später öffnete die Maschine ihren Rachen und entließ dampfend das saubere Geschirr.
Dengler nahm es – und verbrannte sich die Finger. Tevfik lachte – und langte zu. Ihm schienen die heißen Teller nichts auszumachen.
»In ein paar Tagen hast du dich daran gewöhnt.«
Das Geschirr wurde gestapelt und in Wärmeschränke eingeräumt. Wenn es wieder benutzt würde, war es nicht mehr heiß, sondern warm und verhinderte, dass die Speisen auf dem Teller abkühlten.
In der zweiten Maschine wurden die Töpfe, Pfannen und Tiegel gespült. Die Köche brachten ständig ihre benutzten Gerätschaften und stellten sie in ein großes Becken.
Dengler nahm zwei Töpfe und räumte sie in die zweite Maschine, nahm die nächste Pfanne – und schrie auf.
»Vorsicht. Du musst prüfen, ob die Pfannen noch heiß sind. Ein Spüler verbrennt sich öfter die Finger als ein Koch.«
Die zweite Maschine brauchte vier Minuten, um alles sauber, aber auch
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