Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
gezogen und hielt ein Glas in der Hand. Auf dem großen Plasmabildschirm lief eine Soap Opera, Teil der unablässigen Ströme von Unterhaltungssendungen in Englisch, Spanisch oder Quechua, je nach Wunsch, die von der Sendeanstalt von Project City herausgepumpt wurden. Es war eine von Lammocksons vielen Strategien, seine zusammengepferchte Bevölkerung zu narkotisieren.
Amanda stand nicht auf. Sie hob ihr Glas; es war halbvoll. »Setz dich. Trink einen Schluck. Jorge holt dir, was du willst. Dieser Kartoffel-Wodka ist gar nicht so schlecht, wenn man erst mal eine gewisse Immunität aufgebaut hat.« Das zumindest war ein Aufblitzen der alten Amanda.
»Bringen Sie mir bitte dasselbe, was sie hat.«
Jorge verbeugte sich und zog sich zurück.
Lily setzte sich behutsam auf den Rand eines der ausladenden Sofas im Raum.
Amanda sah sich weiterhin ihre Soap an. Sie war jetzt über fünfzig, aber immer noch schön, dachte Lily, immer noch schlank, immer noch im Besitz dieser unbewussten Biegsamkeit, die Männer so attraktiv fanden. Aber die Verbitterung, die sich in ihr eingenistet hatte, als Benj in P-ville getötet worden war, zeigte sich in einem verkniffenen Zug um die Augen und in ihrem schmallippigen Mund.
Dieser Raum voll glänzendem Leder und mit polierten Fußbodendielen war mit Artefakten geschmückt, die aus den versunkenen Städten geraubt worden waren. Juan Villegas, von Geburt Katholik, hatte sich eine schöne Sammlung von Kelchen zugelegt, die in Vitrinen aus kugelsicherem Glas untergebracht war und Lily an eine Reihe von Sporttrophäen erinnerte. Gerüchten zufolge hatte er eine komplette Tür von Limas Kathedrale abmontieren lassen.
Jorge kam mit Lilys Drink zurück und verschwand wieder. Sie nippte daran; er war sehr stark.
»Also«, sagte sie unsicher. »Wo ist Juan heute?«
Amanda machte eine Handbewegung, und der Ton der Soap wurde leiser. »Draußen bei der Heiligen Garde. Müsste bald zurück sein.« Sie sah Lily an. »Du veränderst dich nie, was? Ein bisschen ledriger.«
»Danke.«
»Aber blass bist du.«
»Kommt vom Sonnenschutz und von den Hüten. Es ist heiß da draußen, Amanda.«
»Deshalb gehe ich ja nie raus. Hast du immer noch mit den genmanipulierten Pflanzen zu tun?«
»Ja, und mit Nathans Landwirtschaftsprogramm allgemein …«
Sie sprach über Lammocksons momentane Pläne. Seine Wissenschaftler laborierten an Methoden herum, mit denen sich der Druck auf das verfügbare Ackerland mildern ließ. Lammocksons neue Kulturvarietäten von Mais, Getreide und Reis waren resistent gegen Dürre und nährstoffreicher als die alten Sorten. Die radikalste Technik bestand darin, aus einjährigen Feldfrüchten mehrjährige zu machen: Gersten-, Mais- und Weizensorten, die nicht ausgesät werden mussten. Das würde erhebliche Mengen an Arbeitskraft sparen, und dauerhafte Wurzelsysteme würden sich auf der Suche nach Nährstoffen und Süßwasser, die an der Oberfläche immer knapper wurden, tiefer in den Boden graben. Argentinien und Mexiko waren vor der Überschwemmung ganz groß in puncto transgene Pflanzen gewesen, und es war Lammockson nicht schwergefallen, Fachleute für diese Art von Arbeit zu rekrutieren.
Es gab auch ein längerfristiges Anpassungsprogramm. Wegen des steigenden Meeresspiegels war es, als befände sich das Ackerland in einem abwärts fahrenden Fahrstuhl. Gegenwärtig züchteten die Landwirtschaftsexperten Pflanzen, die sich für Gebirgsbedingungen eigneten. Da die ökologischen Zonen jedoch aufwärts wanderten, mussten sie in absehbarer Zeit vielleicht auf ein anderes, für geringere Höhen geeignetes Sortiment von Feldfrüchten umsteigen. Es war seltsam und furchteinflößend, über all das nachzudenken, aber Lammockson bestand dennoch darauf, dass sie Vorbereitungen trafen.
Lily versuchte Amanda zu erklären, wie schön es war, draußen unter grünen, wachsenden Dingen zu sein - selbst wenn es eine seltsam stille Landschaft war. Es gab jetzt nur noch wenig Nutzvieh; Hühner und Schweine wurden gehalten, um pflanzliche Abfälle zu verzehren und dadurch die Effizienz der Landnutzung zu maximieren, aber Rinder, Schafe und sogar die einheimischen Lamas und Alpakas galten als zu teuer. So schien es überall auf der Welt zu sein. Es war ungewöhnlich, dass es selbst unter domestiziertem Nutzvieh zu einem Artensterben kam.
Amanda hörte zu, aber Lilys Ausführungen interessierten sie offenkundig nicht - ihre Aufmerksamkeit driftete zu den flimmernden Bildern der
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