Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
kennengelernt. Einen Dotcom-Unternehmer, der an der Vermarktung personalisierter Wettervorhersagen interessiert war. Gar keine so dumme Idee. Als Grundlage nimmt man öffentlich zugängliche Großraummodelle und ergänzt sie durch ein Sensorenpaket, mit dem man das Mikroklima in der Umgebung des Kunden und den voraussichtlichen Weg des …«
»Thandie - der Typ!«
»Also, um es kurz zu machen, wir haben geheiratet. Deine Mutter war dabei - als deine Vertreterin, schätze ich. Ich bin schwanger geworden. Hab das Kind verloren. Dann hab ich auch den Typen verloren. Oder wir uns.«
Diese abrupte Zusammenfassung im Telegrammstil schockierte
Gary. »Oh. Tut mir leid. Wolltest du’s nicht noch mal versuchen?«
»Das war nicht möglich, wie sich herausgestellt hat. Nicht für mich. Die Ärzte … Ach, verdammt, das spielt jetzt keine Rolle mehr!«
»Gott, Thandie, das ist ja schrecklich.«
»So ist halt das Leben. Wir machen alle solche Veränderungen durch. Geburt, Tod, was auch immer. Es sollte eben einfach nicht sein.« Sie war ganz starr inmitten des Gerüttels.
Sanjay tippte Gary auf die Schulter. »Ich habe zwei Kinder aus zwei Ehen. Ein Kind in Glasgow ist größtenteils schottisch, das andere in Middlesex ist größtenteils bengalisch. Das Leben ist nun mal kompliziert, mein Freund.«
»Stimmt. Aber …« Aber Gary hatte zuvor eine andere Thandie gekannt, eine wilde, verwegene, überschwängliche, fantasievolle Thandie. Er fragte sich, ob es ihm je gelingen würde, diesen neuen, verletzten Menschen zu begreifen. »Es ist eine Tragödie, dass ich so lange weg war.«
»Eine Tragödie für Sie, Ihre Familie und Ihre Freunde«, sagte Sanjay. »Sie müssen sehr wütend darüber sein, was man Ihnen angetan hat.«
»Und ob.« Tatsächlich war Garys Wut im Lauf der letzten Tage immer stärker geworden. Vielleicht hatte er sich zu sehr an seine Entführer gewöhnt, sogar angefangen, sie zu mögen, oder irgendeine andere verdammte Stockholm-Syndrom-Geschichte. Domestiziert von der langen Gefangenschaft. Jetzt war er draußen und durchlief einen neuen Prozess - jetzt hasste er sie.
Im nächsten Augenblick senkte der Hubschrauber die
Nase, und ihm fiel wieder ein, dass die Welt ihre eigenen Prozesse durchlief, die offenbar keine Geduld für seine innere Revolte aufbrachten.
Der Chopper jagte im Tiefflug über eine Halbinsel am Nordufer des Flusses hinweg, die von einem tiefen Wasserlauf durchschnitten wurde. Industrieanlagen breiteten sich zu beiden Seiten des Baches aus, Öltanks, Raffinerien, Schornsteine und große Gasspeicher, alle eingebettet in ein Netz aus Gehwegen und Pipelines. Eine dicke Rohrleitung stelzte über den Bach hinweg.
»Wo sind wir?«, fragte Gary. »Was ist das?«
»Canvey Island«, rief Thandie. »Und das da westlich vom Bach ist Coryton. Petrochemische Anlage.«
Die Terminals wurden vom Fluss aus beschickt. Ein riesiger Supertanker schmiegte sich unweit der Schlepper an einen Anleger. Die hell erleuchtete Landschaft, ein Teppich aus Natriumdampflicht, schien sich kilometerweit zu erstrecken. Gary sah einen robusten, offenbar mehrere Meter hohen Betondeich, der einen gewissen Schutz vor dem Wasser bot. Das Areal war jedoch kein reines Industriegebiet. Dort unten standen auch Wohnsiedlungen, Haufen ziegelroter Gebäude, die sich, teilweise nur einen halben Kilometer oder weniger von der Industrieanlage entfernt, wie kümmerliche Blumen im Regen aneinanderdrängten.
Und es fand eindeutig eine Evakuierung statt. Gary sah, wie Autos aus den Siedlungen strömten und die zu den großen Hauptverkehrswegen im Norden führenden Straßen verstopften. Obwohl es noch nicht einmal vier Uhr nachmittags war, war es jetzt so dunkel, dass die meisten Wagen die
Scheinwerfer eingeschaltet hatten. Der Verkehr war jedoch praktisch zum Erliegen gekommen, Hubschrauber, leuchtend gelbe Maschinen des Such- und Rettungsdienstes, flogen langsam am Ufer der Themse entlang. Gary bekam all das nur flüchtig durch strömenden Regen von einem Hubschrauber aus zu sehen, der im Wind bockte und schlingerte. Er hörte, wie Thandie mit einer Art Flugsicherung sprach.
Plötzlich flammte ein Blitz auf, und Donner krachte.
»Die Sturmfront ist nur noch ein paar Kilometer entfernt, in dieser Richtung«, rief sie und zeigte nach Osten. »Was sagen die Daten, Sanj? Kriegst du GPS?«
»Kriege ich.« Sanjay starrte auf seinen Bildschirm. »Klimasensoren in Ordnung, obwohl uns der Windmesser bei dieser Geschwindigkeit bald
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