Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Pfefferminzbonbons, wollen Sie eins?«
Der AxysCorp-Chopper hob mit Lily und den anderen von einem durchweichten Sportplatz im Windschatten der Hochstraße ab. Die Maschine senkte die Nase, und sie flogen in weitem Bogen nach Norden, über eine Halbinsel hinweg, die sich allmählich in einen Archipel verwandelte. Das Wasser hatte den Dome jetzt vollständig umschlossen, die Parkplätze waren verschwunden. Durchnässt bis auf die Haut, kauerte Amanda bibbernd auf ihrem Sitz und drückte ihre Kinder an sich.
Der Pilot sah nach hinten. »Dachte mir, Sie würden das vielleicht gern sehen, Captain Brooke. Weil Sie ja die Olympiade verpasst haben und so …«
Der Hubschrauber schoss über den angeschwollenen Fluss hinweg und jagte weiter nach Norden. Hier breitete sich das Olympiagelände über Tower Hamlets und Newham bis nach Hackney aus. Es lag im Tal eines Nebenflusses, des Lea; auch dieser war über die Ufer getreten. Lily erkannte eine Radrennbahn, einen Komplex für Hockey- oder Fußballspiele
und die Schüssel eines Stadions - alles verlassen, öde, vor sich hin rostend, stellenweise sogar mutwillig zerstört. Das schmutzige Wasser breitete sich über das Tal aus und strudelte um die Olympiaanlagen herum, als wollte es eine Landkarte färben.
Der Chopper senkte erneut die Nase und schwenkte nach Westen ab, Richtung Stadtzentrum.
In Millwall kannte man Molly Murdoch. Ein paar Straßen weiter bot ein alter Mann, der entschlossen war, in seinem Haus zu bleiben, Piers die Schubkarre aus seinem Garten an. Der Wasserstand war noch so niedrig, dass man damit fahren konnte, also setzte Piers seine Passagierin vorsichtig hinein, bemüht, sie nicht nasszuspritzen, und entschuldigte sich für den Schmutz.
»Das ist genau das Richtige«, erwiderte Molly aufgeräumt, während sie es sich in der Karre bequem machte. Piers legte ihr erschöpft die Tasche in den Schoß. »Nach Hause, James!«
So stapften sie weiter.
Sie schlossen sich einer immer größer werdenden Menge von Menschen an, die mehr oder weniger gut zu Fuß waren; einige schoben Buggys, Karren und Rollstühle. Ihr Ziel war die DLR-Station Mudchute am Rande des Parks, in dem Piers abgesetzt worden war. Die Bahnstrecke selbst verlief auf einem Backstein-Viadukt ein paar Meter über dem Boden. Ein Team von Polizisten und DLR-Mitarbeitern sorgte dafür, dass sich alle ordentlich in der Schlange anstellten, und beaufsichtigte den Zugang zum Bahnsteig.
Die Polizisten winkten Molly wegen ihrer Behinderung
gleich nach vorne durch, und Piers suchte sich jemanden, der ihm half, sie in der Karre zum Bahnsteig hinaufzutragen. Sie mussten nicht lange auf einen Zug warten, obwohl er schon bei der Ankunft rammelvoll war. Piers war erleichtert, dass überhaupt noch Züge fuhren. Erneut wurde Molly und ihm eine Vorzugsbehandlung zuteil; allerdings konnten sie die Schubkarre aus Platzgründen nicht mitnehmen.
Piers nahm neben Molly auf einem durchfeuchteten Sitz Platz, dann fuhr der Zug ab. Außerhalb von Mudchute war die Trasse von Bäumen gesäumt, aber er erhaschte einen flüchtigen Blick auf die darunterliegenden Straßen. An einem Supermarkt, dessen Parkplatz sich stetig mit Wasser füllte, stießen weitere Flüchtlinge zu ihnen, die Einkaufswagen voller Kinder und Habseligkeiten schoben. Jenseits der Crossharbour Station war auf dem anderen Gleis ein Zug liegen geblieben; sein elegantes rotes Kleid glänzte im Regen, die Türen standen gähnend weit offen. Eine Schlange von Flüchtlingen trottete unbeholfen daran vorbei.
Sie überquerten das Hafenbecken Richtung South Quay Station und gelangten in den Bürobezirk, dreißig eng beieinanderstehende, größtenteils erleuchtete Glaspaläste. Dies war eine eigene Stadt, dachte Piers, wie ein amerikanisches Geschäftsviertel neben die viel ältere Gemeinde ein paar Hundert Meter südlich gepflanzt, aber mit seinen schnellen U-Bahn-Verbindungen und eingezäunten Bahnstrecken von ihr isoliert. Es fühlte sich ausgesprochen unheimlich an, auf den bogenförmig verlaufenden Gleisen zwischen diesen gigantischen Bauten hindurchzufahren - als befände man sich auf einer Route durch eine Gebirgskette. Doch die alten Hafenanlagen zu Füßen der Gebäude waren überflutet, so
dass sie wie gläserne Klippen aus einem flachen Meer ragten, durch das sich Haufen von klatschnassen Menschen arbeiteten.
Bei Canary Wharf führte die Strecke unter dem riesigen Hochhaus - One Canada Square - selbst hindurch. Piers kam es so vor, als
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