Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Leute in Sicherheit brachten.
Zur Mittagszeit hatte Gelertner die Stadt verlassen.
Das war so ziemlich alles, was er von Washington mitbekam, einer Stadt, die er zufällig genau in dem Moment besucht hatte, als sie aufgegeben wurde. Von der Flut selbst sah er nichts weiter Bedeutsames. Er fand es jedoch seltsam, dass sein allererster Besuch in der Hauptstadt, am Ende seines eigenen langen Lebens, sich womöglich als einer der letzten erweisen würde, die ihr ein Tourist jemals abstattete.
Gelertner war besonders enttäuscht darüber, dass er die Apollo XI im Nationalen Luft- und Raumfahrtmuseum nicht zu sehen bekommen hatte. Er erfuhr nie, ob es gelungen war, die schwere Kapsel wegzuschaffen.
33
Nathan Lammockson empfing sie in einem Vorraum des Vortragssaals tief im Innern des Freedom Tower, wo Thandie einem Unterausschuss des Weltklimarats ihre Forschungsergebnisse vortragen sollte. Thandie ging davon, um sich frisch zu machen und alles vorzubereiten, und Piers verschwand, weil er mit den Delegierten des Weltklimarats seine eigenen Angelegenheiten zu besprechen hatte. Gary wurde gebeten, mit anderen Klimaforschern vom Hurrikanzentrum der NOAA in Miami und anderswo zu reden, die gerade im Gebäude waren und lokalen Wetterbeobachtern Rede und Antwort stehen mussten, denen der herannahende Meeressturm - Aaron, wie er inzwischen hieß - Sorgen bereitete.
Schließlich saß nur noch Lily neben Nathan Lammockson auf einem Balkon mit Blick in den Vortragssaal. Der Raum war spärlich besetzt, nur ein Dutzend der rund hundert Plätze wurde von Leuten mittleren Alters mit den exzentrischen Kleidern, Frisuren und Fusselbärten eingenommen, die einen professionellen Wissenschaftler zu kennzeichnen schienen. Sie kannten einander offenbar und unterhielten sich über die Rücklehnen ihrer Sitze hinweg, ohne Thandie zu beachten, die ihre Präsentation durchlaufen ließ. In der Luft vor ihr hing ein großes, dreidimensionales Display, das ein durchscheinendes Bild der ganzen Erde zeigte. Es drehte
sich vor Thandies erhobener Hand; Lily sah ihr ernstes Gesicht durch die geisterhaften Schichten des Planeten hindurch.
Lammockson schlürfte einen Kaffee und beugte sich zu Lily herüber. »Toller Blick von hier oben.«
»Ja. Thandies Drei-D-Projektor gefällt mir.«
»Ah, ich nehme an, Sie haben noch nie eine Kristallkugel gesehen?«
»Mir sind eine Menge neuer Spielsachen entgangen, während ich in den Kellern in Barcelona saß.«
»Ja, richtig. Das Prinzip ist simpel, soweit ich es verstehe. Es ist eine Art optische Täuschung.« Lammockson hielt seine erhobene Hand senkrecht und mimte eine Rotation. »Man hat einen durchscheinenden Bildschirm, senkrecht wie meine Hand, der sich tausendmal pro Minute dreht. Und drei Projektoren, die durch Linsen- und Spiegelsysteme Licht darauf abfeuern. Dadurch bekommt man in jedem Augenblick einen Schnitt durch das dreidimensionale Objekt, das man gerade betrachtet. Wenn man die Drehung beschleunigt, verschmelzen die Schnitte im Blickfeld. Großartiges Werkzeug in der Medizin, wie ich höre. Chirurgie, wissen Sie, Scans von Schädeln mit Tumoren drin und so. Natürlich werden sie meistens für Pornos benutzt.«
Das brachte sie zum Lachen. »Wenn ich so auf Thandie runterschaue, kommt’s mir tatsächlich so vor, als würde ich gleich eine Operation zu sehen kriegen.«
Er grunzte. »So ist es ja auch, in gewissem Sinne. Diese Arschlöcher werden ihr Bestes tun, um alles, was Thandie ihnen vorlegt, zu sezieren. Sie müssen sich klarmachen, wie der Weltklimarat funktioniert, Lily, und wozu er da ist …«
Der IPCC oder »Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimawandel«, wie er offiziell hieß, war in den 1980er Jahren ins Leben gerufen worden, um in sogenannten »Wissensstandberichten« maßgebliche Beurteilungen von Informationen und Vorhersagen bezüglich des Klimawandels vorzulegen.
»Es gibt Arbeitsgruppen, die sich mit den wissenschaftlichen Aspekten des Klimawandels, seinen Auswirkungen auf die Welt und Maßnahmen zu seiner Eindämmung befassen. Das Wort ›maßgeblich‹ ist der Schlüssel. Die ganze Arbeitsweise des Rates ist darauf ausgerichtet, das zu untermauern. Wenn er einen Bericht herausbringt, gibt es immer einen führenden Autor für jede Sektion, aber normalerweise begutachten dann Hunderte von Fachleuten die Texte und liefern Zehntausende von Kommentaren. Als Faustregel gilt, dass sie nur durchlassen, worüber es hundertprozentigen Konsens gibt. Besonders wenn es um
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