Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
ein Ziel. Wayne hat sich einen Land Rover und einen Wohnwagen beschafft, und - tja, hier sind wir nun.«
»Hm. Mitsamt Stacheldrahtsperren und Boden-Luft-Raketen.«
»Es ist doch überall dasselbe. Versuch nicht, mir was anderes weiszumachen. Die Menschen haben so viel verloren, dass sie Angst davor haben, noch mehr zu verlieren. Aber ich
glaube, die Lage wird sich wieder beruhigen. Wir werden hier keine Survivalisten-Horrorshow durchleben, Lily.«
»Ach nein?«
»Du kennst es hier nicht. So schlimm ist es nicht.« Das glaubte Amanda tatsächlich. Außerdem glaubte sie, dass sie Kraft und Widerstandsfähigkeit erlangt hatte, weil sie in einer Situation, die sie früher einmal ganz und gar unannehmbar gefunden hätte, sich und ihren Kindern ein Zuhause geschaffen hatte. Sie verübelte es Lily, dass sie einfach so daherkam, um all das mit einem Wort zu zerstören. »Es könnte sogar besser werden«, erklärte sie trotzig. »Sie sagen, wenn es noch wärmer wird, hätten wir es hier bald wie auf den griechischen Inseln. Weißt du noch, wie Mum mit uns nach Kefalonia gefahren ist, als wir noch klein waren? Olivenhaine, Meeresfrüchte und dieses glatte, glitzernde blaue Meer.« Es war eine Fantasievorstellung, an der sie sich insgeheim festhielt, besonders in dunklen Winternächten oder wenn die Stürme ihren überfüllten kleinen Wohnwagen durchschüttelten, eine Fantasievorstellung von einer sonnengetränkten Zukunft in einem zum Archipel gewordenen England.
Lily schwieg. Sie sah ungeheuer traurig aus.
»Aber daraus wird wohl nichts, was?«, fragte Amanda vorsichtig.
»Nein.« Lily nahm ihre Hände. »Tut mir leid, Schwesterherz. Ich muss euch wirklich von hier wegbringen.«
Plötzlich hörte man einen Motor aufbrüllen. Ein Motorrad kam auf dem Fußweg herbeigerast. Benj fuhr, Kristie hielt sich an seiner Taille fest. Keiner der beiden trug einen Helm.
Benj brachte das Motorrad ungeschickt zum Stehen. Mit Tränen in den Augen stieg Kristie ab und lief zu ihrer Mutter. Sie trug ihren ramponierten pinkfarbenen Rucksack auf dem Rücken.
»Das ist Waynes Motorrad!«, fuhr Amanda sie an. »Was, zum Teufel, habt ihr euch dabei gedacht? Er wird stinkwütend sein!«
»Das ist er schon«, sagte Benj. »Hi, Tante Lily.«
»Hallo, Benj, Kris.« Lily blickte wehmütig drein.
Amanda sah ihre Kinder durch Lilys Augen. Sie waren so sehr gewachsen, waren kräftiger geworden, hatten sich verändert . Die blässlichen, modebewussten, Angel-besessenen Teenager aus der Zeit vor der Flut hätten neben diesen robusten, derben Arbeitern wie Pfaue gewirkt.
Aber Kris weinte. »Es ist meine Schuld, Mum. Ich weiß, du hast gesagt, wir sollten nicht heimfahren, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass wir endgültig weggehen würden …«
» Ich hatte das Gefühl«, fiel ihr Benj ins Wort, »als du gesagt hast, Tante Lily sei hier.«
»Ich wollte nicht ohne meine Sachen weg.« Kris zog an den Riemen ihres Rucksacks.
Amanda warf Lily einen aufgebrachten Blick zu. »Es sind ihre letzten Sachen aus London. Accessoires, weißt du, Glitzerkram, ihre Bernsteinkette. Und ihr Teddy!«
»Spielt keine Rolle«, sagte Lily rasch. »Sie kann sie mitnehmen, wo sie sie schon mal dabei hat. Die Frage ist, warum seid ihr mit dem Motorrad gekommen?«
» Seinet wegen«, sagte Benj. »Er hat uns gesehen.«
Und Amanda hörte das Grollen eines weiteren Motors.
Wayne kam auf einer großen Honda den Weg entlang. Es war die von Bill Pulford, erkannte Amanda. Er hielt an, stellte den Motor ab und ließ das Motorrad zu Boden fallen. Dann kam er steifbeinig auf sie zu, mit geballten Fäusten.
Amanda lachte gezwungen, im Versuch, die Stimmung aufzubessern. »Weißt du, Bill wird ganz schön Stunk machen, wenn er erfährt, wie du mit seinem Bike umgehst …«
Wayne zeigte mit einem schmutzigen Finger auf sie. »Halt die Schnauze.« Seine Haare waren wild zerzaust von der Fahrt; sein AxysCorp-Overall war grau vor Dreck, die Augen leuchtend blau. »Was, zum Teufel, fällt dir eigentlich ein? Du willst abhauen, ja? Ich wusste es, als ich diese beiden kleinen Arschlöcher weglaufen sah.«
Benj baute sich vor ihm auf. »Kann schon sein, dass ich ein Arschloch bin, aber nenn mich nicht ›klein‹.«
Wayne hob eine Faust.
Zu ihrer eigenen Überraschung packte Amanda ihn am Arm. »Wenn du ihn schlägst, ist es aus. Wage - es - ja nicht!«
Er funkelte sie an. Aber er wich zurück und schüttelte ihre Hand ab. »Ist es nicht sowieso aus? Verpisst ihr euch
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