Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
alles auf einmal heraufholen kann. Was sie nicht auf die Schnelle mitnehmen können, versuchen sie vor dem steigenden Wasser zu sichern. Ein Vorratslager für die Zukunft.«
Sie fuhren durch Westminster. Der größte Teil des London Eye ragte noch über dem Wasser auf, wie das Rad eines riesigen Fahrrads. Man sah Seile aus aufgebrochenen Gondeln hängen, Überbleibsel der letzten Rettungsoperationen. Am gegenüberliegenden Ufer erhob sich der Uhrturm des Big Ben wackere sechzig Meter über die Wasserlinie. Doch eine seiner Uhren war zertrümmert; es waren nur noch Fragmente übrig. Der Polizist wusste darüber Bescheid. »Irgend so ein Kleinbritannien-Spinner mit einer raketengetriebenen Granate …«
Lilys Handy klingelte. Sie holte es aus ihrer Tasche. Es war ein schweres Militärmodell, ein Satellitentelefon.
Das Funkgerät des Polizisten knisterte.
Und der Bildschirm des AxysCorp-Bootsführers leuchtete auf.
Auch Benj sah es. »Was ist passiert?«
Lily wirkte traurig, aber zugleich seltsam erleichtert. »Das, worauf ich gewartet habe. Die Seismologen hatten es schon auf dem Schirm.«
»Hatten was auf dem Schirm?«, blaffte Amanda.
»Es hat ein großes Seebeben südwestlich von Irland gegeben.«
Das klang absurd. Amanda ertappte sich dabei, dass sie hysterisch lachte. »Irland? In Irland gibt’s keine Erdbeben …«
»Darum ging es bei der ganzen Sache, Amanda«, sagte Lily. Sie sprach geduldig von »isostatischer Subsidenz«, davon, dass überschwemmtes Land vom Gewicht des darauf lastenden Wassers um bis zu einem Drittel der Wassertiefe ins weichere Gestein unter der Kruste hinabgedrückt werden konnte. Und die halbfeste Kruste mochte es nicht, wenn sie verbogen wurde - darum verursachte die Flut gewaltige seismische Spannungen in aller Welt.
Amanda schnitt ihr das Wort ab. »Du hast zu viel Zeit mit Gary Boyle verbracht. Was hat ein Erdbeben vor Irland mit uns zu tun?«
»Das hier«, sagte der Bootsführer. Er holte einen Laptop hervor und öffnete ihn. »Das ist ein Blick von Exmoor nach Westen.«
Es war eine Aufnahme vom Meer mit einer schwarzen Linie am Horizont, einer Linie, die vor Amandas Augen immer dicker wurde. Und im Vordergrund sah man, wie das Meer zurückwich und versunkene Städte und Felder freigab.
»Ein Tsunami«, sagte Kristie sofort.
»Ein Tsunami, der auf England zukommt …« Amanda konnte es noch immer nicht glauben.
»Das hat es auch früher schon gegeben«, sagte Lily. »Vor sehr langer Zeit, wie man durch geologische Untersuchungen entsprechender Ablagerungen festgestellt hat. So haben Tsunamis die Häfen am Ärmelkanal, die Severn-Mündung und Schottland getroffen. Ursache waren Beben vor Irland, im Kanal und vor der norwegischen Küste.«
»Wie hoch ist er?«
»Das wissen wir nicht - noch nicht. Hier sollten wir in Sicherheit sein. Aber er wird an der ganzen Westküste enorme Zerstörungen anrichten.«
Amanda erinnerte sich an Bilder des Tsunamis im Jahr 2004 im Indischen Ozean sowie an die Tsunamis, die erst vor einem Jahr Istanbul und seither auch Macao und Hongkong getroffen hatten. Leichen, die in Bäumen hingen … »Dartmoor ist also doch nicht sicher.«
»Jetzt weißt du, warum ich euch da rausholen musste, Amanda. Das hier wird Großbritannien endgültig in Stücke reißen. Davon wird sich das Land nie wieder erholen.«
Kristie starrte auf den Bildschirm. »Was ist mit Molly und Linda, mit Barry und George …?«
»Kinder in Postbridge«, erklärte Amanda.
»Können wir sie warnen?«, fragte Kristie.
Lily gab ihr das Handy. »Ruf an, wen du willst, mein Schatz. Inzwischen wird es sowieso eine offizielle Warnung gegeben haben.«
Kristie drückte auf die Tasten. Sie wusste die Nummern auswendig.
Benj war wütend. »Du hast gewusst, dass das passieren würde, stimmt’s, Lily? Es ist genau wie in Greenwich. Wir laufen einfach weg und lassen sie sterben.«
»Ja. Aber wenn ich geredet hätte, wäre keiner von uns rausgekommen. Hör zu - du hast ein Gewissen, Benj, und das ist gut. Aber verstehst du, was ich tun musste?« Lily starrte ihn an, bis er den Blick abwandte.
Viel später, als sie an Bord des AxysCorp-Choppers und in der Luft waren, klingelte Lilys Handy erneut - ein weiterer dringender Anruf. Kristie telefonierte immer noch mit Postbridge; sie gab das Handy zurück.
Der Anruf kam von AxysCorp. Es war Lammockson persönlich. Helen Gray hatte sich bei Angehörigen in Chester aufgehalten. Sie war ums Leben gekommen, als die große Welle
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