Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
ihr seid mir wichtig, du und die Kinder. Eure Sicherheit.«
»Du machst mir Angst«, sagte Amanda, obwohl sie immer noch eher zornig als verängstigt war.
»Gut«, erwiderte Lily unverblümt. »Erledige deine Anrufe. Bitte, Amanda.«
Also drückte Amanda die Kurzwahltasten und rief an.
38
Es würde eine Weile dauern, bis die Kinder bei ihnen waren. Lily und Amanda gingen langsam in Richtung des Tors.
Ein Landwirtschaftsfahrzeug tuckerte auf einem Feld herum. »Es werden immer mehr Felder angelegt«, sagte Lily.
»Ja. Hier oben betreibt man jetzt Ackerbau statt Schafund Rinderzucht. Das haben wir dem wärmeren Wetter zu verdanken. Es gibt allerdings Probleme. Zum Beispiel die Blauzungenkrankheit und die afrikanische Pferdepest, neue Virusarten, die hier zuvor unbekannt waren. Die staatlichen Tierärzte kommen immer noch manchmal vorbei.« Auch das war eine Folge der von den Überschwemmungen hervorgerufenen Erwärmung: Die alten Brutstätten von Krankheiten, wie dem Chikungunya- und Rifttalfieber, die nicht nur Tiere, sondern auch Menschen befielen, breiteten sich immer weiter aus.
»Woher bekommt ihr euren Treibstoff?«
»In Taunton gibt’s einen Ölhafen.« Das Tiefland von Somerset war praktisch versunken, aber in der Nähe der ehemaligen Binnenstadt hatte man in aller Eile provisorische Hafenanlagen für kleine und große Schiffe errichtet. »Er ist natürlich rationiert und wirklich nur für die Landwirtschaftsfahrzeuge und die Kraftwerke gedacht. Das Auto nehmen wir nur im Notfall. Es gibt auch ein paar Motorräder,
Wayne hat eins. Sie haben den Hafen schon einmal verlegen müssen, weil das Meer weiter gestiegen ist.«
»Ja, es ist überall dasselbe.«
»Niemand scheint zu wissen, wie lange die Tanker noch kommen werden.«
»Wer kontrolliert die Rationierung?«
Amanda sah ihre Schwester an. »Na, die Polizei. Was glaubst du denn?«
»Irgendwie seid ihr hier oben ziemlich unzugänglich. Dieser ganze Stacheldraht. Die SAM-Raketen. Stimmt es, dass die Einheimischen den Tesco-Supermarkt in Taunton ›verstaatlicht‹ haben?«
»Gewissermaßen. Viele Leute hatten was dagegen, dass die Betreiber ihre Profite aus dem Gebiet abgezogen haben.«
»Das wäre in den alten Zeiten nicht passiert, oder? Ein großer Teil Englands hat heutzutage keine Verbindung mehr mit dem Zentrum.«
»Tja, die Regierung sitzt in Leeds, etliche Hundert Kilometer von hier. Die machen sich über uns doch keine Gedanken. Wayne sagt, wir könnten hier oben auf Dartmoor autark sein, wenn wir nicht überrannt werden.«
»›Überrannt‹?«
Amanda ging nicht darauf ein. »Das Klima ist angenehmer als früher. Das liegt am Meeresspiegel. Es ist, als wären wir dreißig Meter abgesunken, wodurch das frühere Hochland jetzt Tiefland geworden ist. Wayne sammelt Proben der sich verändernden Populationen von Blumen, Nachtfaltern, Schmetterlingen und Vögeln. Er führt darüber eine Art Protokoll auf seinem Laptop.«
»Dein Gespiele ist also so was wie ein Biologe, ja?«
»Gespiele, ach, hör doch auf mit dem Quatsch. Er ist Meeresbiologe. Kommt aus London. Vor den Überschwemmungen hat er im Dove Marine Laboratory in Northumberland gearbeitet.«
»Du hast mir in deinen Mails nie viel von ihm erzählt. Was hast du gemacht, dich dem ersten kräftigen Kerl an den Hals geworfen, der dir über den Weg gelaufen ist?«
Amanda brauste auf. »Wenn du noch mal so mit mir redest, kannst du allein nach Cheriton Bishop laufen, klar?«
»In Ordnung. Tut mir leid. Ich hab’s nicht so gemeint.«
»Hast du wohl … Wayne ist nicht vollkommen, Lil, aber eigentlich ein ganz passabler Bursche. Er hat einen Doktortitel. Sein Spezialgebiet sind die Flora und Fauna der Küstenregionen, aber jetzt sind die Küsten verschwunden. Manchmal reisen wir sogar bis zum Solent, nur um zu sehen, wie die Überflutung voranschreitet. Wayne meint, es sei ein Artensterben. Es wird eine Million Jahre dauern, bis die Natur wieder eine richtige Küste geschaffen hat, die Gezeitentümpel, Brandungshöhlen und Wattflächen mit ihren Regenpfeifern und Singschwänen. Selbst die Sanddünen sind untergegangen. Es ist alles weg, und wir werden unser Leben lang nichts dergleichen mehr zu sehen bekommen. Ist das nicht traurig?«
»Er hat also eine Seele … Na los. Erzähl mir, wie du ihn kennengelernt hast.«
Sie waren sich im Auffanglager in Aylesbury begegnet, in einer Schlange vor einem Wassertank. Gleich nach den ersten Überschwemmungen war Wayne aus Northumberland
Weitere Kostenlose Bücher