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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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zur Kombüse.
    Nicht noch mehr Töpfe, dachte Emma und wich zurück.
    Aus langer Erfahrung kannte Hannah Emmas Abneigung gegen das Spülen und sie sagte schnell zu ihr: »Zum Bad geht es hier durch.«
    Oh.
    »Schwester Hannah…«, sagte Noah.
    Hannah ging zurück und Noah neigte sich zu ihrem Ohr.
    »Du könntest ein bisschen von dem Mandelöl nehmen, das du selber auch verwendest.«
    Hannah nickte.
    Emma fragte sich, worüber sie wohl so viel flüsterten. Aber es interessierte sie nicht wirklich. Sie konnte sehen, dass in der Kombüse alle Töpfe und alles Geschirr schon abgespült und weggeräumt waren – sie sah auch, dass neben dem Ofen Badehandtücher angewärmt wurden.
    Ein Bad, dachte sie; ein Bad… Hoffentlich ist es schön tief, damit ich richtig darin versinken kann.
    Der Baderaum war schon voller Dampf, die Schwämme lagen in ihrem Eimer bereit und die Birkenruten hingen von ihren Stiften an der Wand über der Bank. Hannah war auf Emmas Ankunft gut vorbereitet; sie hätte ein ganzes Heer baden können. Wenn es ein Heer gegeben hätte. (Keine Heere mehr, dachte sie, während sie einen weiteren Eimer siedend heißen Wassers in den Zuber schüttete. Alle Richtlinien haben sich für uns auf immer verändert. Jetzt wird alles nur noch durch »vor der Sintflut« und »nach der Sintflut« unterschieden. Und es müsste heißen »Sie hätte eine ganze Arche voll baden können …«)
    Hannah ging hinaus und sperrte dabei Emma ein. Sie hatte das Mandelöl vergessen.
    Emma ging zum Zuber, blieb daneben stehen und tauchte den Finger ins Wasser. Noch zu heiß zum Hineinsteigen. Sie legte ihr Tuch ab und stand da – wie hypnotisiert –, das Tuch in der einen Hand, die Knöpfe ihrer Bluse, schön nacheinander, in der anderen.
    Die Birkenruten sahen aus wie Tierschwänze; sie hingen so da, wie Sem früher auf Erden im Schlachthaus die Tierschwänze aufgehängt hatte – die langen sahen aus wie Kuh-, die kurzen wie Kälberschwänze. Emma streckte die gerade noch mit den Knöpfen beschäftigte Hand aus, um die Ruten zu berühren: Sie waren tot wie Schwänze, die vertrockneten Blätter in Büscheln zusammengedreht.
    Der Duft der Seife und die Wärme des Dampfes machten Emma schläfrig. Alles hier erinnerte sie an ihre Eltern und ihre Brüder und an das Badhaus daheim, wo alle einmal in der Woche zusammensaßen, während ihr Vater Geschichten erzählte. Dampf und Geschichten waren in ihren Gedanken immer miteinander verbunden – und das Fühlen der Finger ihrer Mutter, wenn diese ihr den Nacken massierte. Ihre Brüder waren, wie ihr Vater, riesengroß mit fahlen Haaren und Holzfällerarmen und sie sprachen, wie ihr Vater, mit leisen sanften Stimmen, wie die Tiere. Einige von ihnen hatten einen Schnurrbart, der sich zum Kinn hin zwirbelte – und der Dampf sammelte sich an den Spitzen dieser Schnurrbärte in großen perlenartigen Tropfen, die Emma an ihrem Finger sammeln und gegen die Steine schleudern durfte, wo sie wie Insekten zischten. Ihre Mutter war genau das Gegenteil von all diesen stillen blonden Männern gewesen – sie war klein und dunkel und regte sich leicht auf. Eine lustige und verspielte Frau, deren Kinder sie abgöttisch liebten. Ihre Augen hatten einen Braunton, der nur in Lottes Augen wieder auftauchte – und ihre Hand war immer ausgestreckt, um einen zu berühren.
    Lotte war jedermanns Liebling gewesen – alle Brüder verwöhnten sie, ihr Vater trug sie in seinen Armen und auf seinem Rücken und ihre Arme waren so stark, dass er sie auf seine Schulter hochschwingen konnte, während sie einen Purzelbaum schlug. Lotte war kaum jemals außerhalb der Sichtweite ihrer Mutter gewesen und sie war nie unglücklich, außer sie wurde zurückgelassen, wenn die ganze Familie einkaufen ging – alle drängten dann in den offenen Wagen hinein außer Lotte und einer weiteren Person (es war jedes Mal eine andere), die bei ihr bleiben musste. Verstecken war etwas anderes. Immer wenn ein Fremder sich der Tür näherte, musste Lotte versteckt werden, und zwar im Badhaus. Das Badhaus war ein Ort, an dem alle immer glücklich waren und deshalb war es das ideale Versteck. Manchmal war Emma an der Reihe, sich mit Lotte zu verstecken und dann spielten sie, sie wären Holzfäller wie ihre Brüder – sie fällten die Birkenrutenbäume und stapelten sie kreuzweise mitten auf dem Fußboden, in Haufen mit Miniaturbau- und Brennholz.
    Emmas stärkste Erinnerung an Lotte war jedoch, wie weich sie sich anfühlte, und wie

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