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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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Fleisch.
    »Eukalyptusblätter.« Mottyl schnüffelte auf der Suche nach mehr Niere im Teller herum. »Spargel, Lavendel. Lauch.« Bald würde sie auf dem Fleisch draufsitzen. »Mimose.«
    »Mimose. Ach – das hättest du besser nicht erwähnen sollen.« Das Einhorn seufzte. »Mimosen gehörten zu meinen Allerlieblingsdingen. Es gab so vieles, was ich liebte…«
    Auf ihrer Stufe lehnte sich Mrs Noyes gegen den Balken und hörte kaum zu. Mit ihren schmerzenden Fingern streichelte sie die Kätzchen, eins nach dem anderen, und wünschte, sie könnte die Finger weit genug krümmen, um die Kätzchen hochzuheben. Das silberfarbene war besonders niedlich… Jahwes Kater war es gewesen, das war klar, obwohl vier Kätzchen eher Mottyl als ihm ähnelten. Nur das silberne war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Und das weiße sah Mottyl ein bisschen weniger ähnlich als Abraham. Sechs Kätzchen. Sechs. Vier Weibchen und zwei Männchen. Und jedes Einzelne war am Leben. Bis jetzt.
    Obwohl die Arche in so vielen Dingen die absolute Hölle war und obwohl ihr Leben hier so entsetzlich war – eingesperrt und unterernährt, von Luft und Tageslicht abgeschnitten, von all ihren Artgenossen außer einem getrennt –, gab es hier im Schein der Lampe doch ein bisschen Trost, hier war es warm und alle hockten eng beisammen und wurden in dieser großen, dicken Wiege auf dem Wasser geschaukelt – es gab einen Trost, der keinem anderen glich. Keinem Haus, keinem Stall, keinem Bau. Kein einziger Ort hatte jemals so viele Leben eingeschlossen, und keiner war jemals im Inneren so friedlich wie dieser, gerade jetzt vor dem Schlafengehen und nach der Fütterung. So viele Gestalten und unterschiedlich große Formen, die in so vielen Positionen dalagen, die so unterschiedliche Räume füllten und so viele verschiedene Seufzer von sich gaben: Für Mrs Noyes war es ein Mysterium. Es war, als hätte sie in jenen frühen Tagen auf der Erde mitten in den Wald laufen können, ohne darauf zu achten, ob sie in eine Drachensuhle fiel oder auf eine Schlange trat. Hier war nichts von alledem von Bedeutung. Der Wald – die Hälfte der Tiere, die in der Arche versammelt waren, hatten dort ihr Leben verbracht – bot weniger Gefahr als diese Arche. Dennoch fühlte Mrs Noyes sich hier sicherer. Wenn auch trauriger als damals im Wald. Sicherer und trauriger zugleich: wie seltsam, dachte sie.
    In der Nähe lagen Füchse und Waschbären Seite an Seite, nur ein bisschen Hühnerdraht war zwischen ihnen, und über ihnen starrten Bip und Ringer in die Ferne und fragten sich noch immer, wo all die Bäume geblieben waren. Eine furchtbare Traurigkeit lag über ihnen allen – und über einigen eine fast elegische Mattigkeit, wie sie so gesenkten Kopfes dasaßen und ihre Zehen zählten. Sie fühlten sich genauso wie Mrs Noyes. Wenn sie aufblickten, war der Ausdruck in ihren Augen fast unerträglich: Trauer um den Verlust von Raum und Luft und Himmel. Die Affen und die anderen in Gruppen lebenden Tiere waren nicht in der Lage zu verstehen – ganz gleich, wie oft man es ihnen erklärte –, warum nicht noch eins oder zwanzig oder hundert mehr von ihrer Art hatten gerettet werden können. Nichts, was diesen Ort und nichts was die Umstände ihres Hierseins betraf, konnte ihnen wirklich klargemacht werden. Viele der Tiere dachten, dass dies – und nicht, was sie zurückgelassen hatten – der Tod sei. Oder zumindest etwas, was dem Tod sehr nahe kam.
    Mrs Noyes war sich plötzlich der Dunkelheit und der Wände ringsum und des Daches oben und des Fußbodens unten schmerzlich bewusst. Die Arme taten ihr weh – und ein Teil des Schmerzes rührte von der Erinnerung, warum sie ihr wehtaten. Wir sind hier wahrhaftig Gefangene, dachte sie; jeder Einzelne von uns – und dennoch heißt das: gerettet werden.
    Vielleicht war es das, was sie mit Sicherheit und Traurigkeit zugleich gemeint hatte: Sie und all diese Geschöpfe, die bei ihr waren, teilten ihre Gefangenschaft auf eine Art, wie sie den Wald niemals hätten teilen können. Wenn man zusammen in derselben Falle sitzt, teilt man dieselbe Angst vor der Dunkelheit und vor den Wänden und man hat auch denselben Feind. Man fürchtet sich vor demselben Gefängniswärter. Man träumt denselben Traum von der Freiheit – alle zusammen warten darauf, dass dieselbe Tür aufgeht. Man lernt auch zusammen auf eine Art und Weise zu überleben, die Gefangenen niemals einfallen würde. Hätte sie sich zum Beispiel je vorstellen können, wenn

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