Die letzte Flut
etwas gerochen haben – denn er zuckte mit den Schultern und sagte: »Oh.« Und dann sagte er: »Emma?«
»Ja«, sagte Noah. »Aber was kann man von einer erwarten, deren Schwester ein Affe war?«
Mottyl hatte alle sechs Kätzchen geboren – zwei in der Schürze und die anderen in Hannahs Wiege. Sie waren alle gesund – zumindest kam es ihr so vor, nach dem zu urteilen, was sie fühlen und riechen konnte. Es waren keine Missbildungen zu erkennen, keine zusätzlichen Gliedmaßen, keine zweiköpfigen Ungeheuer, keine Klumpfüße und keins der Kätzchen schien Untergewicht oder Untergröße zu haben. Zwei Männchen – vier Weibchen: Das war leicht zu unterscheiden. Aber Mottyl wollte nur zu gerne wissen, welche Farbe sie hatten und ob eins der Weibchen dreifarbig war wie sie. »Das Allerseltenste «, hatte ihr Mrs Noyes erklärt, vor langer Zeit, als Mottyl jung war und sich fragte, warum es zum Paaren nie Männchen gab, die so aussahen wie sie. »Es kann keine dreifarbigen Männchen geben«, hatte Mrs Noyes gesagt. »Frag mich nicht warum; es ist einfach nicht möglich. Doktor Noyes sagt, seine Experimente haben es bewiesen – und außerdem sagt er, wenn es ein dreifarbiges Männchen geben sollte, wäre das ein Wunder. Und wir wissen alle, wie viele ›Wunder‹ es gibt. Echte Wunder zumindest.«
Das bereitete Mottyl Kummer und sie fühlte sich deswegen sehr einsam. Lieber wäre ihr gewesen, nicht so einzigartig zu sein, dann hätte sie die Folgen nicht tragen müssen. Doktor Noyes war zu sehr von der Einzigartigkeit fasziniert – und jedes Mal, wenn Mottyl Kätzchen gebar, verschwanden die dreifarbigen Babys als Erste.
Der Gedanke an Doktor Noyes und seine Experimente versetzte sie ziemlich in Panik. Irgendwo oben konnte sie seine Stimme hören, die mit dem Rhythmus des Sturmes lauter und leiser wurde. Wenn die Arche hochgehoben wurde, hob sich auch Doktor Noyes’ Stimme und wurde laut und klar – und wenn die Arche fiel, fiel auch seine Stimme – und sie ging in entsetzlichem Krachen unter, wenn die Arche auf dem Wasser aufschlug und alles schüttelte und zitterte und all die anderen Tiere »Helft uns!« schrien.
Was für eine Zeit und was für ein Ort, um auf die Welt zu kommen, dachte Mottyl, während sie ihre Babys fütterte und säuberte. Sie lag auf der Seite – zum ersten Mal seit Tagen trocken und warm – und fragte sich, welche Versteckmöglichkeiten die Arche wohl bieten könnte. Sie wusste nichts von ihrer Geographie – nichts vom großen Schacht – nichts von den vielen Durchgängen und Passagen – nichts von den Heuböden und Futtertrögen – nichts von den verschiedenen Ebenen. Sie kannte nur ihre gewaltige Größe und ihre Gerüche: ihr erdrückendes Gewicht, wenn sie auf dem Wasser aufschlug, und das Geräusch ihrer quietschenden Balken und jammernden Tiere.
Der Sturm wurde offensichtlich stärker – wenn das überhaupt noch möglich war – und er hörte sich jetzt an wie der Lärm von zehntausend Mrs Noyes, die alle zusammen Brot buken und auf dem darüber liegenden Deck den Teig schlugen und kneteten. Einst, vor langer Zeit, war das ein tröstliches Geräusch gewesen – das Brotbacken –, ein Geräusch, das Mottyl zum Einschlafen brachte – bei dem sie sich sicher fühlte unter dem Tisch zu Hause in der warmen Küche. Mrs Noyes hatte immer vor sich hin gesungen, während sie den Teig klopfte und schlug – aber jetzt sang niemand und diese Sturmdamen – zehntausend an der Zahl – waren etwas ganz anderes.
Was für eine Zeit und was für ein Ort, um auf die Welt zu kommen …
Mottyl fühlte, wie die Kätzchen gegen ihren Bauch drückten – ihre Milchdrüsen kneteten und an ihren Zitzen zogen – und eine Welle der Müdigkeit überflutete sie. Sie begann zu schnurren. Wenn sie nur schlafen dürfte. Wenn sie es nur wagen würde. Die Gerüche von Milch und Geburt und Stroh wirkten wie Opiate und der Klang ihres eigenen Singens tief im Innern versetzte sie allmählich fast in Trance – in einen Zustand, in dem der Regen nicht existierte und ihr Nest in der Wiege ein enger, sicherer Ort war – so eng und sicher wie die Arme von Mrs Noyes. Langsam versank Mottyl in einem gefährlichen Traum von Sicherheit; außer ihrer totalen Erschöpfung merkte sie nichts mehr.
Sie saßen am Tisch, zu beiden Seiten aufgereiht wie Verhandlungsparteien: Noah, Sem und Hannah auf der einen Seite – Japeth hinter ihnen stehend – und Mrs Noyes, Luci und Ham auf der anderen – Emma kauerte
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