Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
Stadt angingen, konnte ich den Wunsch, ihn wieder zu treffen, nicht unterdrücken. Ich setze mich vor den Spiegel. Ich hole die Shamisen raus. Sechs Uhr … Sieben Uhr … Jetzt wird er sicher wie immer am Seeufer warten. Einfach so, ohne ein Wort, fortzubleiben, das ist vollkommen unerträglich. Nur einmal noch möchte ich ihn treffen, mir eine Ausrede ausdenken, daß wir uns nicht mehr sehen können, und dann Lebwohl sagen. Soll ich?
Ich kenne aber den Charakter des Kröterichs sehr genau. Wenn der sich auf eine Sache anspitzt, hat er seinen sicheren Idioten-Instinkt, und wenn ich mir dann die kleinste Verfehlung leiste, komme ich nicht ohne eine Tracht Prügel davon.
Na und, stört mich das denn? Geht's schief, dann steche ich den Kröterich aber wirklich ab und bringe mich selber um!
Schließlich schlüpfe ich aus dem Haus. Aber weil der ein Chamäleon ist, dachte ich, kann man nie wissen, ob der mir nicht heimlich eine Falle stellt.
Ich drückte der Alten, die immer, als ich noch da lebte, ins Takenoya gekommen war, um die Bettwäsche zu waschen, einen Yen in die Hand, bat sie, den Herrn Motoyama herzuholen, und schaffte es, ein Zimmer zu mieten.
»Ich muß von hier fortgehen, weil meine Mutter krank ist«, sagte ich, vergrub mein Gesicht an seiner Brust und weinte laut schluchzend wie ein kleines Kind.
»Du bist aber wirklich ein Unglücksrabe! Wenn du nur einverstanden bist, will ich gern mit dir gehen«, sagte er mir liebevoll, aber ich wand mich heraus, indem ich nur leicht den Kopf schüttelte. Ach, hätte ich nur wirklich ein Heimatdorf und könnte dort, und sei es nur für einen Tag, mit ihm glücklich und unbeschwert zu zweit zusammensein …!
Bei dieser Vorstellung wollte das Weh mir fast das Herz zerreißen.
»Wenn ich zurückkomme, gehe ich sofort wieder in die Fabrik«, sagte ich, und wir nahmen voneinander Abschied. Ich hatte mir jedoch vorgenommen, diesen Mann nie wieder zu treffen.
Ganze zwei Mal nur habe ich mit ihm in inniger Umarmung gelegen. Ich habe mit mehr Männern Erfahrung, als man an den zehn Fingern abzählen kann. Ich bin durch und durch besudelt. Wäre ich nur körperlich rein, frei und ledig gewesen, hätte ich, so leidvoll es auch sein mag, zehn oder auch zwanzig Jahre lang auf den Tag warten wollen, an dem ich glücklich mit ihm zusammenkommen würde …
Meine Beschmutzung läßt sich nicht abwaschen. Als ich mir dessen bewußt wurde, war es schon zu spät. Ich bin zu dumm gewesen. Aber es ist nicht zu ändern. Ich hatte ja keinerlei Ahnung gehabt …
Die Mutter vom Takenoya ist dran schuld. Meine leibliche Mutter ist dran schuld. Ich hätte mich am liebsten aufschlitzen und in den Fluß werfen mögen und litt Qualen, die Welt und die Menschen verfluchend.
Seit dem Abschied von Herrn Motoyama vegetierte ich dahin, ohne auch nur einen Schritt aus dem Haus zu gehen.
»Bist wohl so verknallt in den Kerl, daß dein Gesicht verändert ist! Ich hab auch meinen Stolz und lass' dich jetzt erst recht nicht laufen!«
So sprach der Kröterich und ereiferte sich, aber ich schlug ihm all seine wollüstigen Ansinnen mit vagen Ausreden ab,um die Erinnerung an die Berührung mit meinem Liebsten nicht auszulöschen, und lebte dahin, wie von Sinnen vor Kummer. Am Morgen des 6. November kam die Mutter vom Takenoya mit einem Brief von meinem Freund, den sie mir vorlas. Er schrieb, er fahre mit dem Nachtzug am 5. fort, und hatte mir für den Fall, daß es mir von Nutzen sei, Geld beigefügt.
Sowieso mußte er ja fortgehen, aber als ich bedachte, daß ich ihn vor der Trennung gern noch einmal getroffen hätte, strömten mir die Tränen, als seien alle Dämme gebrochen. Ich hatte keine Kraft, noch weiterzuleben. Und die Qual, künftig mein Lebtag mit dem verhaßten Lonpari zusammensein zu müssen, war unerträglich. Selbst wenn ich geduldig weiterleben wollte, wäre es doch ein Leben, in dem mich nichts erwartet. Ich beschloß zu sterben, solange mein Liebster wenigstens noch auf japanischem Boden weilt, wählte einen Tag, an dem der Lonpari nicht kam, und brachte die Wohnung in Ordnung.
Mitte November ist es in Shinano schon richtig kalt. Ich legte meinen dünnen, hellrosa Sommer-Kimono mit dem Windenblütenmuster an, von dem er gesagt hatte, er stehe mir am besten, schminkte mich sorgfältig und wartete, daß es tiefe Nacht wurde. Ich steckte ein Räucherstäbchen an und starrte unverwandt darauf, wie es langsam abbrannte. Das war ein Leben von 20 Jahren Leiden ohne Ende; endlich
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