Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
im Haus, aber das macht nichts, trink wenigstens eine Tasse Tee!« sagt sie und fängt an, an der Anrichte zu hantieren. Drei ungefähr gleichaltrig aussehende Buben wuseln um mich rum und gucken mich groß an.
Es riecht nach Miso (Bohnenmus), denke ich gerade, da bringt sie einen Berg von Kartoffeln her, in Scheibchen geschnitten und in Miso gedünstet. Ich bewundere ihre Flinkheit, wie sie mich mit einem im Nu angerichteten Mahl bewirtet.
»Was macht denn dein Mann?«
Eigentlich hatte ich gemeint, ich solle vielleicht besser nicht danach fragen, aber schließlich rutscht es mir doch heraus.
»Papa ist Tagelöhner. Weil wir viele Kinder haben, plackt er sich auch ab. Heut ist er zum Holzhacken angeheuert, und eine Hucke bringt 7 Yen; da muß er unbedingt 50 Hucken schaffen. Heut kommt er nicht heim, hat er gesagt, auch nicht spät am Abend … Aber wenn die Kinder groß genug sind, daß ich sie allein lassen kann, will ich auch schaffen gehn, dann haben wir's ein bißchen besser. Aber auch so gehe ich manchmal die Schlafkimonos in den Gasthäusern waschen, um ein bißchen was dazuzuverdienen.«
»Jaja, du scheinst glücklich zu sein, nicht?«
»Von glücklich keine Rede! Es ist Mist, wenn man kein Geld hat. Aber wenn die Kinder groß sind, wird's schon besser werden. Nur darauf freu ich mich.«
Eines der Kinder quengelt: »Mama, ich will Miso-Reis essen!«
»Ich auch, ich auch«, fangen die anderen alle mit an zu jammern.
»Ja, ja«, sagt Fusachan im Aufstehen, »unsere Kinder mögen alle Miso-Reis. Wenn es nur Miso und Reis gibt, brauchen sie sonst nichts«, lacht sie, aber innerlich sage ich mir, es ist sicher nicht so, daß die Kinder Miso mögen, aber die wissen, daß sie nichts anderes sonst kriegen.
»Bleib doch noch, wenn der Papa heimkommt, wird er sich freuen. Du kannst dir's hier gemütlich machen«, aber ich lehne es ab, als sie mich halten will, und laufe geradezu fluchtartig fort. Verunsichert fühle ich, an unverhofftem Ort eine unverhoffte Lehre bekommen zu haben, und denke, Glück oder Unglück der Menschen, das kann man in jeder denkbaren Form und an jedem beliebigen Ort finden. Hätte ich sie nur so vorübergehen sehen, mit vier Kindern am Schürzenbändel und mit ausgelatschten Sandalen daherschlurfend, dann hätte ich wohl nur die Stirn gerunzelt und gedacht »wie erbärmlich«, aber Hoffnung und Zuversicht auf später, wenn die Kinder groß sind, machen ihr das Herz leicht. Beim Abschied habe ich ihr mit den Worten »kauf deinen Kindern was Schönes« einen Umschlag mit 2000 Yen in die Hand gedrückt; den wird sie wohl gerade aufmachen und vor Freude und Überraschung, daß sie so viel geschenkt bekommen hat, ganz aus dem Häuschen sein. Mir ist, als sähe ich sie glücklich vor meinen Augen.
So, aber wie geht's mit mir weiter? An meinem Finger funkelt ein Diamant, wenn auch nur ein kleiner. Und eine goldene Uhr. An den Füßen trage ich Lederschuhe. Im Geldbeutel stecken noch vier- bis fünftausend Yen an restlichem Geld. Und trotz allem hungert und dürstet meine Seele, und ich irre schmerzverwirrt umher auf der Suche nach einem Ort zum Sterben.
Irren zwischen Leben und Tod
Als ich mit dem Bus von Shiojiri losfuhr, fing es an, immer stärker zu schneien, und ich gab die Hoffnung auf, vom Shiojiri-Paß aus einen Blick auf den Suwa-See werfen zu können. Unterwegs, in Tagawaura-Kōsen Iriguchi, stieg ich aus. Hier befindet man sich mitten im Bergwald von Shinano, und wenn es Winter wird, zeigt sich hier keine Menschenseele. Ich lief in den Wald hinein und fing an, ziellos umherzuirren in dem Wunsch zu sterben, wenn es mir denn vergönnt wäre. Wenn man in den Wald eindringt, versinkt man bis über die Knie im Schnee. Ich zog die Schuhe aus und lief barfuß; die Kälte spürt man nur eine kurze Zeit, dann fühlt man an Händen und Füßen bald nichts mehr.
Ich habe sagen hören, wenn man so herumläuft, wird man bald schläfrig, aber ich war von oben bis unten durchnäßt und zitterte nur; schläfrig wurde ich kein bißchen. Heulend verlor ich die Geduld: »So ein Mist, werd ich denn nicht bald müde?«
Wer weiß, wie viele Stunden vergangen waren, da wurde mir schwarz vor Augen, und ich wußte nicht mehr, was mir geschah.
Danach wurde ich von einem fast 80jährigen Alten aus einer Berghütte, mehr als eine Meile von der Bushaltestelle entfernt, gerettet. Der heizte Holzscheite an, wärmte michvollkommen auf, und als er meinen Bericht zu Ende gehört hatte, sagte der
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