Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
rief: »Wenn du mir in die Quere kommst, murks ich dich ab!«, und stürzte sich auf Piiko. Es begann ein Kampf zwischen Piiko und dem großen Falken, aber weil Piiko nur ein Falkenkind war, konnte er es mit dem großen Falken nicht aufnehmen.Jedesmal, wenn die Klauen des großen Falken Piiko trafen, riß es ihm ein halbes Dutzend Federn aus, die im Wind schaukelnd zu Boden tanzten. Piiko war über und über von Wunden bedeckt und kämpfte trotzdem voller Mut. Aber seine Kräfte waren schon am Ende, und er war drauf und dran, zu Boden zu stürzen.
Da kam Masao von der Schule zurück. Als er sah, was da los war, warf er schnell Steine nach dem großen Falken. Der große Falke dachte, wenn sich Menschen mit einmischen, werde er bestimmt den kürzeren ziehen, und nahm Reißaus. Piiko trudelte herab bis vor Masaos Füße und war so matt, daß er sich nicht mehr rührte. »Piiko, sei tapfer, du darfst nicht sterben!« rief Masao unter Tränen und verband seine Wunden.
Als am Abend Vater und Mutter vom Feld zurückkamen, erzählte Masao ihnen, was passiert war. Der Vater lobte Piiko: »Obwohl du so klein bist, hast du wacker gekämpft. Bravo, bravo!«, und legte ihm einen silbernen Ring um den Fuß.
Nach einigen Tagen waren Piikos Wunden vollständig geheilt. Er wurde jetzt nicht mehr mit der Kette angebunden. Der Vater sagte ihm:
»Du sollst auf die Karpfen und auf das Kätzchen aufpassen.«
Darauf war Piiko sehr stolz. Er konnte auch auf den Wipfel des Maronenbaums fliegen und die schöne weite Aussicht betrachten.
Wenn Masao von der Schule zurückkam, nahm er ihn mit auf die Felder. Bald kam der Herbst, und die goldenen Ähren der Reisfelder wogten wie Wellen. In die Reisfelder des Hauses von Piiko kamen die Spatzen nicht, diese Strolche, die die Körner stiebitzen. Piiko hatte den Spatzen zwar nie etwas zuleide getan, aber wenn sie Piiko nur erblickten, machten siesich schon schleunigst aus dem Staub. Piiko war glücklich. Er konnte sich zum Schlafen in der Nacht den Ast aussuchen, auf dem es sich am besten schlief, und tagsüber konnte er so viel spielen, wie es ihm gefiel.
So verging eine Anzahl von Tagen. Piiko wartete gerade im Wipfel des Maronenbaumes auf Masao, der bald aus der Schule zurückkommen mußte, da hörte er das laute Flügelschwirren, das er schon kannte. Der große Falke von neulich näherte sich. Als er Piiko erblickte, kam er herbeigeflogen und landete bei ihm.
»Ich bin heut gekommen, weil ich mit dir zu reden habe. Jawohl, du Knirps, heut bin ich nicht gekommen, um mir einen Karpfen zu holen. Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen. Als ich den anderen Falken erzählt habe, daß ich neulich von dir in die Flucht getrieben worden bin, wollten sie es dir alle heimzahlen. Da sagte der Falkenkönig, vorher solle man dich erst einmal zu ihm bringen, und deshalb bin ich gekommen, um dich zu holen. Du mußt jetzt mit mir bis zum dritten Berg fliegen.«
Weil Piiko dachte, der große Falke wolle ihm sicher einen üblen Streich spielen, sagte er ablehnend:
»Meine Schwingen sind noch zu schwach, ich kann unmöglich bis zum dritten Berg fliegen.«
»Was, du kannst nicht fliegen? Das gibt's doch nicht! Wenn du nicht mitkommst, hole ich eine Menge Freunde, und dann schnappen wir uns alle Karpfen im Teich!« brüllte der große Falke mit furchterregendem Gesicht.
Piiko glaubte, daß die Leute im Haus sehr traurig wären, wenn alle Karpfen geraubt würden, und er hätte dann seine Aufgabe nicht erfüllt. Er nahm also all seinen Mut zusammen und beschloß mitzukommen.
Der dritte Berg war sehr weit weg. Noch nicht einmal die Hälfte des Weges war bewältigt, da war Piiko schon ganzerschöpft, aber er riß sich zusammen und flog weiter. Als er am dritten Berg angekommen war, sah er zu seiner Überraschung, daß sich da unzählige Falken versammelt hatten und ihn erwarteten.
Piiko wurde vor den König geführt. Der starrte ihn mit grimmig funkelnden Augen an und fragte ihn mit so lauter Stimme, daß es durch den ganzen Wald hallte:
»Du bist also der Knirps, der zu den Menschen hält?«
»Ja, der bin ich.«
»Warum hältst du zu den Menschen, unseren Feinden?«
»Ich bin bei den Menschen aufgewachsen. Die Menschen sind deshalb meine Eltern und keine Feinde«, antwortete er mutig und voller Überzeugung.
»Weißt du denn nicht, daß deine wirklichen Eltern keine Menschen, sondern Falken sind? Deine Eltern sind von den Menschen getötet worden. Du bist von den Menschen, den Mördern deiner Eltern,
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