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Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)

Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sayo Masuda
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gibt sicher viele, die ähnliche Träume haben. Leute, die noch unglücklicher weinen als ich, Leute, die umherirren …
    Wenn ich Leute sehe, die herumlaufen und betteln: »Gibt es hier keinen Betrieb, der mich einstellen könnte?«, denke ich oft, daß ich es doch noch besser habe als sie. Ich habe einen Arbeitsplatz und meinen Traum, mit den Kindern zu spielen.
    »Wenn die Lotosblumen blühen, tanzt man Mambo«, singen wir ins Blaue hinein, und ich tanze mit den Kindern zwischen den Reisfeldern herum.
    »Der Lotos blüht, der Lotos blüht, kommt, kommt alle herbei und laßt uns tanzen!«
    Wenn ich höre, wie Kinder, denen ich zufällig begegne, dieses von mir erfundene Lied singen, das ich ihnen beigebracht habe, bin ich so glücklich, daß mir die Tränen kommen.
    Saisonarbeit
    Im letzten Winter, eines Morgens früh um sechs Uhr, als starker Frost war, hieß es, ein Kind sei ausgesetzt worden, und ich lief hin, mir das anzusehen. Es war ein Junge, etwa 6 Monate alt, der auf den Armen eines Schutzmannes wonnig lächelte.
    Ich weiß nicht, wieso, aber ich fühlte, wie ich rot im Gesicht und schweißnaß unter den Achseln wurde. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß dieses Kind ohne Absicht lachte. Schon in diesem Alter versuchte es, den Leuten zu schmeicheln. Von einem fremden, unbekannten Mann gehalten, weint es nicht, sondern versprüht Charme. So kam mir das vor. Wie wird dieses Kind künftig aufwachsen? Was für ein Mensch wird wohl aus ihm werden? Kann es denn je so glücklich werden wie andere Leute auch?
    Wenn man jemanden umbringt, gilt das als Verbrechen. Weil die Gesetze von Menschen gemacht sind, gilt das Aussetzen von Kindern wohl nicht als großes Verbrechen. Warum hat man keine Gesetze geschaffen, die Kindesaussetzung strenger bestrafen? Mich überkam ein Drang, mich draufzustürzen und das Kind totzuwürgen. Ich wollte es aus der Welt schaffen, solange es noch nichts begreift, und der Schweiß brach mir aus in dem Bemühen, diesen Wunsch zu unterdrücken. Auch anderen Leuten sagte ich, wenn das mein eigenes Kind wäre, dann hätte ich's wohl getan.
    »Ach, Sayo, nun fängst du wieder an mit deiner Predigt, keine Kinder in die Welt zu setzen«, wurde ich verlacht, aber gibt es unter verlassenen Kindern denn welche, die genausoglücklich geworden sind wie andere Menschen? Es mag vielleicht Ausnahmen geben, aber die meisten verbringen sicherlich ihr Leben, indem sie von Schattenseite zu Schattenseite irren, voller Neid und Verzagtheit. Ich möchte mit lauter Stimme herausschreien, »setzt keine Kinder aufs Geratewohl in die Welt!« Dem gleichen Ziel dient, daß ich das hier, mühsam die Schriftzeichen pinselnd, niedergeschrieben habe.
    Die entsetzliche Behandlung im Haus des Großgrundbesitzers, dann das Schicksal, zum Kauf feilgeboten zu werden … Mir ist, als sei ich mit 30 Jahren endlich zum ersten Mal unabhängig geworden, als gestalte ich zum ersten Mal als Mensch mein Leben selbst. Es ist, als sei ich mit 30 Jahren soeben zur Welt gekommen. Bis dahin bin ich in allen Belangen nicht mehr als ein Werkzeug anderer gewesen. Doch es ist schon zu spät. Ich bin zwar keineswegs verzweifelt, habe dafür aber auch keinerlei Hoffnung. Ich gehöre zu denen, die gesagt bekommen, sie taugen nicht einmal zur Hilfskraft in einem Kinderhort. Ich werde wohl allerlei kleine Tätigkeiten finden und weiterhin arbeiten können, aber das bedeutet auch, daß ich womöglich, wenn es einmal keine Arbeit mehr gibt, mein Leben nicht mehr bestreiten kann. Trotzdem bin ich gleichmütig. In letzter Zeit habe ich mich immer mehr darauf eingestellt, mich damit abzufinden.
    Um das Jahresende übers Neujahrsfest hat sich meine Leber wieder verschlechtert. Im Bett habe ich mir in Ruhe Märchen ausgedacht und in Frieden gelebt, indem ich meine Vergangenheit zu Papier brachte.
    Im Mai dieses Jahres trug sich das folgende zu: Ich hörte sagen, daß die Bauern in der Nähe jede Menge Helfer zum Reispflanzen brauchen. Dafür sind meine Hände sicher gut genug, dachte ich, machte mich fertig und ging zu den Bauern.
    »Ich bin bereit mitzuhelfen.«
    »Kommt nicht in Frage. Das ist keine Arbeit, die du bewältigen könntest, Sayo.« Den Bauern, die mich mit einem Gesicht abwiesen, als trauten sie mir nichts zu, kehrte ich den Rücken zu und ging einfach stracks in die Reisfelder rein. Ich bin davon überzeugt, daß es nichts gibt, was ich nicht kann, wenn es andere können. Ich plackte mich verbissen ab, um den anderen Helfern nicht

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