Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
nachzustehen. Am Abend bat man mich, am nächsten Tag wiederzukommen; ich bekäme 350 Yen pro Tag.
350 Yen, das war nicht übel. Das Schicksal meinte es gut mit mir. Ich stand auch am nächsten Morgen um 6 Uhr auf und zog los.
Jemand, der mich beim Reispflanzen sah, staunte und pflaumte mich an:
»Sayo, was ist denn in dich gefahren? Du willst es wohl eigenhändig schneien lassen?« [ 4 ]
»Ich bin die Enkelin eines Dämons, ich kann alles«, gab ich zurück, aber ausnahmslos jeder, der vorbeikommt, redet mich an, um mich zu veralbern.
›So ein Mist, so ein Ärger! Gibt's denn keine Antwort, mit der ich's denen deftig heimzahlen kann?‹ überlegte ich mir und parierte es danach so:
»Es gibt nichts, was ein Mensch nicht kann, wenn er nur will. Und ich kann auch anderen den Ehemann ausspannen, wenn ich nur will!«
»Ja, das ist sicher!« gab mir jemand zurück, woraufhin ein anderer laut lachend hinzufügte: »Von dir möchte ich auch gern mal ausgespannt werden!«
Nach dem Ende der Reispflanzung wurde ich als Kindermädchen angestellt. Von einem Bonbon-Händler, um dessenKinder ich mich zufällig mal gekümmert hatte, wurde ich, mehr aus Wohlwollen, gebeten, seine beiden Kinder, 1 und 3 Jahre alt, zu hüten. Ich freute mich über das unverhoffte Glück, das mir da in den Schoß gefallen war. Jetzt muß ich nicht länger damit meinen Lebensunterhalt verdienen, bezechte Gäste bei Laune zu halten.
»Wie findest du das, Masaru, hat doch prima geklappt? Deine Schwester kann mit ernsthafter Arbeit leben. Das wird dich sicher auch freuen!«
Es mag nur ein vorübergehendes Glück sein, aber es ist für mich die größte Freude, dies ohne schlechtes Gewissen dem Foto meines Bruders zurufen zu können.
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[ 4 ] Wer jemanden bei fleißiger Arbeit antrifft, dem man dies nicht zugetraut hätte, greift gern zu der Redensart: »Es wird sicher bald schneien.«
Nachwort
Von großer Publicity begleitet, erschienen im Jahr 2002 auf englisch die Memoiren einer der Top-Geisha von Kyoto, die angeblich erste Autobiographie einer Insiderin dieses geheimnisumwitterten Gewerbes [ 5 ] . Dies ist allenfalls insofern richtig, als die Geisha von Gion in Kyoto (sie nennen sich dort nicht Geisha, sondern Maiko) als die »wahren Geisha«, als die Elite ihres Berufsstandes gelten und sich während ihrer langwierigen Ausbildung umfassende Kenntnisse von Geschichte und Literatur sowie makellose Virtuosität in den traditionellen Künsten aneignen, worauf sie zu Recht solz sein dürfen.
Doch diese Diven der Geisha-Kunst verstellen den Blick auf ihre weniger versierten Kolleginnen, die auch im heutigen Japan vielerorts tätig sind, und am Ende der Skala stehen die sogenannten Onsen-Geisha (Kurort-Geisha) in den kleinen Provinzstädten, zu denen man die Verfasserin dieser wirklich ersten, nämlich bereits 1957 publizierten Autobiographie zählen muß.
Wenn ein Buch tatsächlich ungeschminkte Einblicke in die allerfinstersten Abgründe des glitzernden Geisha-Gewerbes gestattet, so ist es diese Schrift der einstigen Geisha mit dem Künstlernamen Otsuru (im Text kommen auch die Varianten »Tsuru« und »Tsuruyo« sowie die Koseform »Tsuruchan« vor), die sich erst als Erwachsene aus einer Art von Leibeigenschaft befreien konnte und danach im eigenen Lebenzurechtfinden mußte. Der Originaltitel lautet in wörtlicher Übersetzung etwa: »Ein halbes Leben voller Mühsal und Kämpfe«, und das erscheint noch untertrieben. Es ist nichts weniger als die Anklage einer Frau, der in diesem Gewerbe Kindheit, Bildung und Liebe geraubt wurden und die voller Neid ein ganz gewöhnliches bürgerliches Leben als Inbegriff des Glücks betrachtete, das ihr versagt geblieben ist.
Gewiß hat auch das ambitionierte Künstlerdasein der Maiko von Kyoto seine Schattenseiten, doch die in dem vorliegenden Buch dargestellte bittere Realität des gleichen Gewerbes weist eine völlig andere Dimension auf. Als das Wort »Geisha«, das nur »Künstler(in)« bedeutet, in Japan aufkam – es dürfte zu Beginn des 18. Jahrhunderts gewesen sein –, diente es zur Abgrenzung von den käuflichen Damen der lizensierten Freudenviertel und betonte den Anspruch, sich allein für hochvirtuose Leistungen auf dem Gebiet der Unterhaltungskunst bezahlen zu lassen. Diese Unterhaltungskunst konnte zu jener Zeit freilich bereits auf eine rund tausendjährige Tradition zurückblicken. Zwar datieren die ältesten Schriften, die das Engagement professioneller
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