Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts bezeugen, daß ganze Dörfer und Schulklassen in ländlichen Gebieten Japans ihrer Mädchen verlustig gingen.
Dies ist die Welt, die uns die Autobiographie der einstigen Geisha Masuda Sayo vorstellt. Nichts bleibt mehr von der Verklärung der Geisha-Welt, in welcher der Kunde von gebildeten Künstlerinnen gepflegt unterhalten wird. Hier hören wir nur die schreiende Anklage aus der Perspektive des Opfers, einer verkauften, verletzten und verhöhnten Frau, die dermaßen in Angst und Sklavenschaft gehalten wird, daß sie die Menschen fürchtet und sich selbst verachtet. Daß die Autorin sich im Straßenjargon äußert, daß sie gegen die Parlamentarierinnen polemisiert, die dem hartnäckigen Widerstand ihrer männlichen Kollegen und den Bedrohungen durch die Mafia trotzend das Gesetz zur Abschaffung der lizensierten Prostitution durchsetzten, und daß ihr Bericht, vor allem gegen Ende, ins Triviale abzugleiten droht, wer würde dies einer Autorin verdenken, die erst als Erwachsene mühsam Lesen und Schreiben gelernt hat?
Im Jahr 1925 als uneheliches Kind in einem Dorf der verarmten Provinz Shinano geboren, von der Mutter abgelehntund noch im Vorschulalter vom Onkel in den Dienst eines Großgrundbesitzers gegeben, lernt die Autorin weder Familie noch eine echte Kindheit kennen. Von Anfang an ist ihr Leben in der Hand fremder Menschen, die sie ausbeuten und schikanieren. Ihre Angst vor menschlichen Wesen, die sie mehrfach erwähnt, geht einher mit einer seltsamen, unbewußten Hinwendung zu Bäumen, die geradezu leitmotivisch das ganze Werk durchzieht. Die großen Maronen- und Nussbäume auf dem Hof ihrer frühen Kindheit, die Schatten und Nahrung spenden, der Zelkovienbaum in Suwa, »geheimer Ort« der Zuflucht während und nach ihrer Geisha-Zeit, und der Baum hinter der Universitätsklinik, den sie um die Erfüllung ihrer Wünsche anfleht, sie symbolisieren ihr tiefes Mißtrauen zu den Menschen, von denen sie seit ihrer Kindheit wenig Gutes erfahren hat. Es dürfte kein Zufall sein, daß selbst in ihrem Märchen von Piiko, dem Falkenkind, ein großer Maronenbaum im Mittelpunkt steht.
Die Amüsierbetriebe von Suwa, einer unbedeutenden Provinzstadt, hatten keine gebildeten Literaten oder feinsinnige Kunstliebhaber zur Kundschaft, sondern lokale Fabrikanten und Mafia-Fürsten, die es für ihr gutes Recht hielten, sich für Geld nach Belieben junge Mädchen zu kaufen. Geisha-Betriebe, die diesem Bedürfnis nicht entgegenkamen, brauchten erst gar nicht zu öffnen. Die künstlerische Ausbildung diente offiziell zwar dazu, die Formen des Geisha-Gewerbes zu wahren, in Wirklichkeit war sie jedoch nur ein Mittel, die Attraktivität der Mädchen und deren Umsatz zu steigern. Sowohl den Zeitpunkt als auch den Partner der sexuellen Initiation einer neuen Geisha bestimmte das Geisha-Haus, und ihren Mäzen, also Intimpartner, konnte sich keine Geisha nach ihrem Geschmack auswählen. Im Gegenteil, in der professionellen Unterhaltungskunst galt die ungeschriebene Maxime »Liebe ist verboten«, wie es eine Kapitelüberschrift indiesem Werk treffend ausdrückt. Liebe ist nämlich, wie es das eigene Beispiel der Autorin zeigt, das einzige wirksame Gegengift gegen die seelische Abstumpfung, die im provinziellen Geisha-Gewerbe angestrebt wird. Liebe brachte die Geisha Karuta um ihre Gleichmut, Liebe trieb die Geisha Tsukiko in den Tod, und Liebe öffnete der Autorin die Augen. Die anarchische Macht der Liebe fürchteten die Geisha-Patrone der Gegenwart nicht weniger als die Samurai der vergangenen Epochen.
Der Blick hinter die Kulissen des Geschäfts beleuchtet einen Sumpf aus Hader, Schikanen, Rivalität und Haß zwischen den Geisha, der nur wenig Raum für Freundschaft und Solidarität ließ. Dem Kunden bleibt es verborgen, daß seine scheinbar heiteren Gespielinnen, die jederzeit lächeln, singen, tanzen und kokettieren, nicht selten in einer Rivalität zueinander stehen, die in Neid und Niedertracht ausartet. Anschaulich wird der Leidensweg malträtierter und gedemütigter Mädchen aufgezeigt, die sich von Zeit zu Zeit ausweinen müssen, um den Streß zu ertragen. Hier heißen weniger robuste Naturen die Krankheit, der sie erliegen, als Erlösung willkommen oder bereiten ihrem Leben eigenhändig ein Ende. Die Perspektive dieses Werkes macht sichtbar, wie im Geisha-Gewerbe arglose Kinder binnen kürzester Zeit zu hysterischen Psychopathen deformiert und natürliche Regungen wie Scham oder Stolz
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