Die letzte Generation
kannst, über Produktion, über unser Budget, unsere Erzvorkommen, die Geburtenziffer, wie wir unsere Nahrung bekommen und so weiter. Glücklicherweise hatte ich Sekretär Harrison bei mir, und er hatte alle Jahresberichte seit Bestehen der Kolonie mitgebracht. Du hättest hören müssen, wie sie mit den Statistiken um sich warfen. Der Inspektor hat sich die Akten ausgeliehen, und ich möchte wetten, daß er, wenn wir ihn morgen sehen, uns alle Zahlen nennen kann. Ich empfinde diese Art geistiger Leistungen sehr bedrückend.“
Er gähnte und begann lustlos in seinem Essen zu stochern.
„Morgen dürfte es interessanter werden. Wir besichtigen die Schulen und die Akademie. Dann werde ich zur Abwechslung einige Fragen stellen. Ich möchte wissen, wie die Overlords ihre Kinder erziehen, angenommen natürlich, daß sie überhaupt Kinder haben.“
Diese Frage sollte Charles Sen nie beantwortet bekommen, aber in anderen Punkten war der Inspektor auffallend gesprächig. Er pflegte unangenehmen Fragen in einer Art auszuweichen, die erfreulich anzusehen war, doch dann wurde er wieder, ganz unerwartet, geradezu vertrauensselig.
Das erste wirklich intime Gespräch hatten sie, als sie von der Schule, die der Hauptstolz der Kolonie war, wegfuhren. „Es ist eine große Verantwortung“, hatte Dr. Sen bemerkt, „diese jungen Gemüter für die Zukunft zu schulen … Glücklicherweise sind menschliche Wesen widerstandsfähig. Nur eine sehr schlechte Erziehung kann dauernden Schaden anrichten. Selbst wenn unsere Ziele mißverstanden werden, dürften unsere kleinen Opfer wahrscheinlich darüber hinwegkommen. Und wie Sie gesehen haben, scheinen sie völlig glücklich zu sein.“ Er hielt einen Augenblick inne, dann blickte er verschmitzt auf die hochaufragende Gestalt seines Begleiters. Der Inspektor war völlig in ein die Sonnenstrahlen zurückwerfendes, silberiges Gewand gehüllt, so daß nicht ein Zentimeter seines Körpers dem starken Sonnenlicht ausgesetzt war. Dr. Sen bemerkte, daß die großen Augen hinter der großen Brille ihn gefühllos beobachteten oder vielleicht auch mit Gefühlen, die er nicht verstehen konnte.
„Unser Problem bei der Erziehung dieser Kinder muß, nehme ich an, sehr ähnlich sein wie das Ihre, wenn Sie mit der menschlichen Rasse zu tun haben. Meinen Sie nicht auch?“
„Gewissermaßen“, gab der Overlord ernst zu. „Aber man kann vielleicht einen noch besseren Vergleich in der Geschichte Ihrer Kolonialmächte finden. Das Römische und das Britische Reich sind uns aus diesem Grunde immer sehr interessant gewesen. Der Fall Indien ist besonders lehrreich. Der Hauptunterschied zwischen uns und den Briten in Indien war, daß sie keine wirklichen Beweggründe hatten, dorthin zu gehen – keine bewußten Ziele, das heißt, abgesehen von so alltäglichen und vorübergehenden wie Handel oder Feindschaft gegen andere europäische Mächte. Sie fanden sich als Besitzer eines Reiches, ehe sie wußten, was sie damit anfangen sollten, und waren nie wirklich glücklich, bis sie es wieder losgeworden waren.“
„Und möchten Sie“, fragte Dr. Sen, nicht imstande, dieser Gelegenheit zu widerstehen, „Ihr Reich loswerden, wenn die Zeit kommt?“
„Ohne jedes Zögern“, erwiderte der Inspektor.
Dr. Sen ging nicht weiter auf die Sache ein. Die Unumwundenheit der Antwort war nicht schmeichelhaft; außerdem waren sie jetzt bei der Akademie angekommen, wo die versammelten Pädagogen warteten, um ihre geistigen Fähigkeiten an einem wirklichen, lebenden Overlord zu schärfen.
„Wie unser hervorragender Kollege Ihnen gesagt haben wird“, bemerkte Professor Chance, Dekan an der Universität von Neu-Athen, „ist es unsere Hauptaufgabe, den Geist unserer Menschen wachzuhalten und sie zu befähigen, alle ihre Möglichkeiten zu erkennen. Außerhalb dieser Insel“ – seine Handbewegung umschrieb die übrige Erdkugel – „hat die menschliche Rasse, fürchte ich, ihre Initiative verloren. Sie hat Frieden, sie hat Überfluß, aber sie hat keinen Horizont.“
„Aber hier, natürlich …?“ unterbrach ihn der Overlord sanft.
Professor Chance, der keinen Sinn für Humor hatte und sich dessen irgendwie bewußt war, sah seinen Besucher argwöhnisch an. „Hier“, fuhr er fort, „leiden wir nicht an der alten Anfechtung, daß Muße etwas Böses ist. Aber wir sind nicht der Meinung, daß es genügt, passive Empfänger von Unterhaltung zu sein.
Jeder einzelne auf dieser Insel hat seinen Ehrgeiz, der sich sehr
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